Meine Geliebte, sie kommt nicht mehr. Es ist maßlos traurig. Ich muss ein Klagelied anstimmen, um diesen Schmerz zu verarbeiten.
Meine Lebensgefährtin, was ist mit dir geschehen? Ich bin schon mit meinen kleinen Fingern auf dir herumgekurvt, als ich noch im Sandkasten gespielt habe und du kaum den Kinderschuhen entwachsen warst. Wie habe ich das komische “Kunnäla” verehrt, als es mit seinem dickbauchigen “Mastä Schorsch” Schabernack trieb und mir zum Vorbild für allerlei kecke Späße wurde? Du hast mir das Lesen beigebracht, fürwahr ein Lebenselixier. Lesen und schreiben, das ist mein Leben geworden, meine Existenz. Danke dir dafür, tausendmal.
Als meine Schulzeit zu Ende ging, hast du mir zugeblinzelt: “Mach doch, trau dich!” habe ich daraus geschlossen. Ich habe mich an deine Erzeuger gewandt und gefragt, ob ich mit dir anbandeln darf. Ganz in Ehren, versteht sich (aber nicht ohne Hintergedanken, muss ich einräumen). Ja, es hat geklappt, wir sind ein gutes Paar geworden. Geben und nehmen – unser geheimer, aber erfolgreicher Pakt.
Du hast still ertragen, was ich dir das eine Mal kurz und bündig, dann wieder spitz & pfundig oder auch wortreich und illustriert anvertraut habe. Du hast es weitergetragen, was mir in die Quere gekommen ist, was mich begeistert oder erregt hat. Du hast mir förmlich aus den Fingern gesogen, was ich unserer gemeinsamen fränkischen Heimat abgewinnen konnte.
Du, meine Geliebte, bist fast jeden Morgen vor mein Haus geschlichen. Ich habe dich auf Händen hereingeholt, aufgerollt, aufgefaltet, auf den Tisch gebreitet und dann bin in dich versunken. Spalte für Spalte eine Wonne! Kraftstrotzend, hoch gebildet. Von mir immer wieder mit ein paar eigenen Federn geschmückt. Bis ich nicht mehr mit dir spielen durfte. Ob da jemand eifersüchtig geworden ist? Ich weiß es nicht. “Finger weg!” lautete die Devise – so ungefähr: “Schleich dich! Du stammst aus einer anderen Welt und Zeit. Deine Braut wird fit gemacht for the future. Davon verstehst du nichts, Alter.”
Ja, Geliebte, eine Tragödie. Sie ging mir unter die Haut, sie tat richtig weh. Aber du kennst mich: Ungerechtigkeit vertrage ich nicht. Verstoßen lasse ich mich nicht. Ich blieb in deiner Nähe. Ich freute mich, dich weiterhin jeden Tag zu bewundern: Ja, du bist wie ein Überraschungsei, stets mit neuem Outfit und kunterbunt gefüllt. Wie ich Wundertüten früher schon mochte – die von Heinerle aus Bamberger Produktion besonders – liebe ich die Überraschung bis heute. Aber auf einmal diese Enttäuschung: Du kommst nicht mehr. Meine Geliebte, ich wollte dich noch nicht verschrecken mit meiner kleinen unartigen und ungelenken Retourkutsche. Ich möchte dir die Treue halten und empfehle dich mit den liebenswürdigsten Komplimenten. Weit und breit gibt es keine Bessere. Und keine Wertvollere! Wer würde das je bestreiten?
Aber du musst dich schon zu mir bequemen, liebste aller Zeitungen. Ich lauf’ nicht zehn Minuten durch den kalten Wintermorgen zu einer grauen Abholbox am Bahndamm, um dich hernach bocksteif gefroren zum Frühstück zu entblättern. Komm bitte wieder, ich warte auf dich.
Gewohnheitstier, das ich bin, sperre ich jeden Morgen die Haustüre auf – und schau in die leere Röhre. Naja, mittwochs liegt das Wobla drin, samstags Bamberg Stadt & Land. Was bloß können die, was du nicht kannst? Eine treulose Seele bist du geworden, schade. Aber ich mag dich noch. Alte Liebe rostet nicht.
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