Bamberg-Land. Auf der einen Seite wünschen die Naturschützer, die Flächenversiegelung zu stoppen. Das wird auch in so manchen Sonntagsreden renommierter Politiker beschworen. Auf der anderen Seite stehen die Kommunen dem Druck von privaten und gewerblichen Bauwilligen gegenüber, weiteres Bauland auszuweisen. Und dann schwebt da noch der Gedanke mit: Stillstand bedeutet Rückschritt. Ein Mittelweg könnte die Nutzung von innerörtlichen Brachflächen, Baulücken, Gewerberuinen oder die Aktivierung der zahlreichen spekulativen Immobilien sein. Ein heißes Eisen für die Kommunalpolitik, an dem sich Gemeinde- und Stadträte ungern die Finger verbrennen. Sie haben den Schwarzen Peter auf der Hand, der aber auch als Trumpf ausgespielt werden könnte.
Zumindest hätten sie dabei aber den Gesetzgeber an ihrer Seite. Der Pressesprecher des Landkreises, Frank Förtsch, teilte uns nach Befragung der Juristen der Kreisbehörde mit, dass die Gemeinden sehr wohl Chancen haben, ihre Baulandreserven aufzuschließen. So sei im Mai 2021 das Bauland-Mobilisierungsgesetz beschlossen worden, das einige Änderungen im Baugesetzbuch (BauGB) mit sich gebracht habe. Durch diese Novelle solle schnell Bauland zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum ermöglicht werden.
Im § 176 BauGB (Auszug am Ende des Textes) ist ein Baugebot geregelt, wonach die Gemeinden sowohl im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes (§ 176 Abs. 1 BauGB) als auch im unbeplanten Innenbereich (§ 176 Abs. 2 BauGB) den Grundstückseigentümer durch Bescheid zur Bebauung verpflichten können. Nach Wissen des Landratsamtes habe hiervon aber noch keine Gemeinde im Landkreis Bamberg Gebrauch gemacht, berichtet Förtsch.
Zudem könne die Gemeinde mit Hilfe des Paragraphen 176 a BauGB ein städtebauliches Entwicklungskonzept aufstellen, um im Gemeindegebiet verteilt liegende Grundstücke nutzbar zu machen. Neben den planerischen Eingriffsmöglichkeiten stehe der Gemeinde gemäß § 24 und § 25 BauGB unter bestimmten Voraussetzungen außerdem ein Vorkaufsrecht für unbebaute Grundstücke zur Verfügung.
Bei der Ausweisung neuer Baugebiete vereinbarten die Gemeinden mittlerweile regelmäßig einen (privatrechtlichen) Bauzwang im Rahmen des Kaufvertrags, sodass die Käufer vertraglich verpflichtet werden, das Grundstück innerhalb einer bestimmten Frist zu bebauen; andernfalls könnte der Vertrag rückabgewickelt werden. Das Grundstück gehe wieder an die Gemeinde zurück. Da es sich hier um eine vertragliche Lösung handelt, sei dies aber auch nur bei gemeindeeigenen Grundstücken möglich, die von der Gemeinde verkauft werden, erklärt Frank Förtsch vom Landratsamt.
Der rechtliche Rahmen wäre da, doch wie sieht es in der Praxis aus? So lange der Flächenverbrauch vom Gesetzgeber nicht in irgendeiner Form gedeckelt wird, ändert sich wohl wenig. Das Problem, die Versiegelung von Flächen durch Neubaumaßnahmen einzudämmen, wird in den Kommunen erkannt, aber man weiß auch um die Nebenwirkungen. Bauamtsleiter Stefan Endres von der Gemeindeverwaltung Hirschaid kann ein Lied von den Aufregungen singen, die jeder Versuch, eine innerörtliche Baulücke mit einem Mehrfamilienhaus zu bebauen, hervorruft. “Jeder ist für Innen- und Nachverdichtung: Bloß nicht bei mir!” sei die Devise. Dabei komme man in den Hauptorten Hirschaid und Sassanfahrt um den Geschosswohnungsbau nicht mehr herum, wolle man die Wohnungsnachfrage decken.
Den Vollzug des Paragraphen 176 BauGB sieht Endres als problematisch an, weil es im Einzelfall schwierig sei, dass eine Gemeinde den Nachweis erbringen könne, bei angestrengtem Wohnungsmarkt keine alternative Baufläche zur Verfügung zu haben. Hirschaid versuche seit Jahren, die Kontrolle über die Bauflächen dadurch zu behalten, dass bei der Ausweisung neuer Baugebiete der Abschluss städtebaulicher Verträge zur Bedingung gemacht wird. Und darin wird üblicherweise festgeschrieben, dass ein veräußerter Bauplatz innerhalb von fünf Jahren bebaut sein müsse. Schon bei dieser Forderung steht der Hirschaider Bauamtsleiter immer wieder vor schwierigen Verhandlungen mit Grundbesitzern.
Es gibt aber auch noch eine kommunalpolitische Komponente, die man generell nicht außer acht lassen sollte: In den Gemeinderäten sitzen nicht selten Eigentümer von Bauerwartungsland, die dann auch ihre Interessen geltend machen. Und zuweilen spielen verwandtschaftliche Hintergründe eine Rolle.
Der Geschäftsleitende Beamte des Rathauses in der 2000-Einwohner-Gemeinde Pettstadt, Roland Hack, kann sich überhaupt nicht vorstellen, den Paragraphen 176 seitens der Gemeindeverwaltung ins Spiel zu bringen. In Pettstadt liegen in den vor 30 und mehr Jahren erschlossenen Baugebieten noch rund 90 Bauplätze ungenutzt. Immer wieder gestartete Abfragen nach der Verkaufsbereitschaft versanden in der Regel.
Um dem Druck von Bauwilligen auch aus der Gemeinde nachzugeben, hat Pettstadt in den letzten zehn Jahren zwei Baugebiete mit rund 80 Baurechten ausgewiesen. Nun ist der Punkt erreicht, wo die Gemeinde gar kein großes Interesse mehr hätte, die Lücken per gesetzlichem Zwang schließen zu lassen. Denn noch mehr neue Bürger würden noch größere Investitionen in die Daseinsvorsorge (vom Kindergarten über die Schule bis zur Kläranlage) zur Folge haben.
Hack mag sich auch gar nicht ausmalen, was es auslösen würde, wenn sich Gemeinderäte entschlössen, auch nur in einem Teilbereich des Gemeindegebietes den Paragraphen 176 BauGB anzuwenden und die Grundstücksbesitzer aufzufordern, binnen einer bestimmten Frist ihre Fläche endlich zu bebauen. Für den Ortsfrieden wäre das wohl abträglich, Bauwillige hätten ihre Freude. Nur sind die eben noch keine Wähler. Roland Hack wundert es daher nicht, dass nach Erkenntnissen des Bayerischen Gemeindeverbandes bis heute keine Gemeinde im Freistaat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, mit Hilfe des Paragraphen 176 BauGB Immobilien für den Markt aufzuschließen.
(1) Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans kann die Gemeinde den Eigentümer durch Bescheid verpflichten, innerhalb einer zu bestimmenden angemessenen Frist
1. sein Grundstück entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans zu bebauen,
2. ein vorhandenes Gebäude oder eine vorhandene sonstige bauliche Anlage den Festsetzungen des Bebauungsplans anzupassen oder
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