Bamberg-Land. Die offizielle Geburtstagsfeier, die der Landkreis am Montag für den früheren Landrat Dr. Günther Denzler hielt, erinnerte ein bisschen an Veranstaltungen mit dem unvergessenen Franz Josef Strauß. Der frühere CSU-Vorsitzende und Ministerpräsident kam zum Beispiel zu einer 100-Jahr-Feier einer allenfalls regional maßgeblichen Organisation, um sich dann nach kurzen Honneurs unvermittelt über die politischen Verhältnisse im Warschauer Pakt auszulassen. (Strauß hatte deshalb meist einen internationalen Pressetross im Schlepp).
Und nun: Landrat Johann Kalb sang artig ein Hohelied auf seien Vorgänger und gratulierte von Herzen. Doch der Jubilar sagte nicht einfach nur “Danke für den wunderbaren Empfang” – das auch – Denzler packte die Giftspritze gegen lasche Politiker und ihre Claqueure in den Medien aus. Er warb für das Bemühen, die Vorgeschichte der russischen Aggression gegen die Ukraine zu ergründen und trat für einen anderen Umgang mit der AfD ein. Einen stürmischen Beifall des Auditoriums aus namhaften Repräsentanten von Kirche, Staat und Gesellschaft erntete Denzler dafür gerade nicht. Landrat Johann Kalb hob aber auch nicht zu einer Gegenrede an. Er ließ den Denzlerschen Ritt durch die Zeitgeschichte als dessen, in unserer Demokratie legitimen Meinung stehen und lud flugs zum kalten Büfett.
Dem am Sonntag 75 Jahre alt gewordenen Altlandrat schenkte er einen Gutschein über eine Reise. Geplant sei eine Nilkreuzfahrt, entlockte der “Bamberger Zwiebeltreter” der Ehefrau Sonja Denzler später. Abwechslung von den täglich ausgiebigen Spaziergängen Günther Denzlers mit seinem Hund Harly in der fränkischen Heimat und dem “Minijob als Haushaltsgehilfe der Firma Desto”: Ein paar Einblicke in das Leben eines pensionierten Wahlbeamten gewährte das Geburtstagskind seinen Zuhörern dann doch. (Für unbeweibte Ahnungslose: ‘Desto’ seht für ‘dieses da’ …. muss auch noch erledigt werden… Kaum ein Ehemann kennt diesen Minijob nicht).
Apropos Geburtstag: Denzler wurde genau wie der später weltberühmte Buttenheimer Levi Strauss an einem 26. Februar geboren und er gehört dem Jahrgang einiger außerordentlich Kreativer unserer Zeit an – hatte Landrat Kalb herausgefunden: Chris de Burgh, Andrew Lloyd Webber, Joschka Fischer oder Marius Müller-Westernhagen. Dessen Lied “Ich bin wieder hier, in meinem Revier” münzte Kalb auf den Jubilar, dessen Revier der Landkreis und seine Verwaltung von 1996 bis 2014 war. Denzlers Vereidigung als Landrat ging eine Parteikarriere als JU-Kreisvorsitzender, Kreisrat und stellvertretender Fraktionsvorsitzender voraus. Und dann durfte er “das schönste Amt im Freistaat” 18 Jahre lang ausüben. “Denn über einem bayerischen Landrat gibt es nur den weiß-blauen Himmel”, behauptet der Nachfolger. Kalb zählte einige von Denzlers Verdiensten als Landrat und Bezirkstagspräsident um das Gesundheitswesen, die Bildung, die Wirtschaft und das Sozial, um Umwelt und Natur, Kultur und Gesellschaft auf. Gerade jetzt wichtig: In Denzlers Amtszeit fiel der Beitritt zum Verkehrsverbund Nürnberg. Darauf baue der Landkreis mit seinem Programm “Neue Mobilität” mit einem deutlich verbesserten ÖPNV-Angebot ab 2024 auf, informierte der Landrat. Dem “Junggebliebenen” wünschte Kalb, noch lange das Leben genießen zu können.
Nach einem in vollendeter Harmonie vorgetragenen Musikstück – Ausführende waren Beate Roux und Bogdan Lewandowski – outete Günther Denzler sein jugendliches Interesse für das Programm der Grünen. Klar, wer wie er 1968 sein Abitur schrieb, ließ sich von Zielen wie Frieden, Natur- und Umweltschutz, Gleichberechtigung der Frauen, Ganztagsstätten für Kinder und freie Liebe faszinieren. Steine werfende “Pazifisten” und die Forderung nach der Legalisierung von Sex mit Kindern trugen dann wohl dazu bei, dass Denzler kein ultimativer “68er” wurde, sondern dass er auf den Zug der CSU sprang, was seiner ländlichen Herkunft auch näher lag. Was treibt ihn heute um? Denzler sieht die Gefahr, dass die Medien ihrer Wächterfunktion in der Demokratie nicht mehr nachkommen, sondern zu Verlautbarungsorganen der Regierenden werden, dass sie zu den “Guten” gehören wollen.
Nach Meinung Denzlers wird zum Beispiel zu wenig beleuchtet, welche Gründe der russische Präsident Putin noch gehabt haben könnte, die Ukraine zu überfallen. Dass es unter Top-Diplomaten und Nobelpreisträgern namhafte Stimmen gebe, nach denen der Krieg vermeidbar gewesen wäre, wenn der Westen im Vorfeld nicht so viele Fehler gemacht hätte, das vermisst Denzler in der Beurteilung des Zeitgeschehens. Stattdessen werde – wie kürzlich – eine Rede Putins im Fernsehen nur mit “billigster Polemik kommentiert”. (Man muss wissen: Denzler hat mit einer Arbeit zum Thema “Der Einfluss alternativer Zeitungen auf die Kommunalpolitik aus der Sicht städtischer Pressestellen” mit dem Prädikat „Magna cum laude“ promoviert. Er ist ein Insider der Wechselwirkung zwischen Politik und Medien.)
Unverständlich ist dem studierten Juristen und Politikwissenschaftler zum Beispiel die Haltung unserer politischen Elite und der Medien zu der Sprengung der Ostsee-Gaspipeline und zu der emporkommenden AfD. So beklagte er, dass niemand die Rolle der USA und Norwegens bei dem Terrorakt in der Ostsee untersuche. Bei der Sprengung habe es sich um ein Offizialdelikt gehandelt, bei dem der Rechtsstaat hätte tätig werden müssen. Warum das nicht geschah? Wenn sich herausstellen würde, dass hinter dem Anschlag ein Nato-Partner steckte, würde dies zu einem politischen Erdbeben führen, mutmaßt Denzler. Ein Untersuchungsergebnis sei bislang jedenfalls nicht veröffentlicht worden.
Dass die AfD mittlerweile bei Wahlen auf 15-prozentige Stimmenanteile kommt, treibt den alten CSU-Haudegen offenbar auch im Ruhestand um. Seine Antworten allerdings werden nicht all seinen Partiefreunden gefallen. Denzler kommt nämlich zu dem Ergebnis, dass die AfD echte Sorgen der Bevölkerung aufgreife, die etablierten Parteien aber eben nicht. Denzler zählte auf: 75 Prozent der Bevölkerung sind für eine Weiternutzung der Kernenergie; zwei Drittel für Friedensverhandlungen und eine schnelle Beendigung des Ukraine-Krieges; zwei Drittel seien gegen den “Gender-Unsinn” und die Verunglimpfung der deutschen Sprache; zwei Drittel forderten ein konsequentes Handeln bei Asylmissbrauch und illegaler Einwanderung sowie die konsequente Abschiebung von Straftätern. Aber die Regierung handle nicht entsprechend der Volksmeinung. Denzler glaubt daher nicht, dass es gelingen werde, das Phänomen AfD mit Verleumdungen aus der Welt zu schaffen. Und er glaubt auch nicht, dass die von der CDU aufgestellte Brandmauer zur AfD auf Dauer Bestand haben wird. Löcher habe sie ohnehin bereits auf lokaler Ebene bekommen. Und dafür hat Denzler durchaus Verständnis: “Ein vernünftiger Antrag im Gemeinderat oder im Kreistag bleibt auch dann vernünftig, wenn er von der AfD kommt.” Auch in der Vergangenheit habe es weder rote noch schwarze Sportplätze gegeben.
Statt die Erfolge der AfD genau zu analysieren, möchte man die Partei mit Hilfe des Verfassungsschutzes verbieten lassen. Für Denzler ist das der falsche Weg. Demokratie gelinge nur, meinte er abschließend, “wenn sich jeder einzelne von uns einbringt und sich an der öffentlichen Meinungsbildung aktiv beteiligt.”
Na, da hat der pensionierte Landrat aber mal einen Pflock eingerammt. Man darf gespannt sein, wer sich daran reibt. Beim gemeinsam gesungenen Geburtstags-“Ständerla” an den ‘lieben Günther’ war der ganze Saal immerhin noch einer Meinung.
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Eine Antwort
Alter schützt vor Torheit und Selbstüberschätzung nicht. Viele Falschbehauptungen, die einem Faktencheck nicht standhalten.
So z.B. zu den aktuell laufenden Ermittlungen der Generalbundesanwaltschaft zur Explosion der Nord Steam Pipelines: https://www.handelsblatt.com/dpa/ermittlungen-bundestag-debattiert-ueber-nord-stream-explosionen/28976702.html
Nur 41 Prozent sind laut ARD Deutschlandtrend für den langfristigen Weiterbetrieb von Atomkraftwerken: https://www.derstandard.de/story/2000138049935/umfrage-mehrheit-fuer-weiterbetrieb-der-deutschen-atomkraftwerke