Hirschaid. Die ehemalige Judenschule an der Nürnberger Straße ist seit Jahrzehnten ein heißes Eisen in der Kommunalpolitik der Marktgemeinde. Seitdem 2018 auf Druck der Denkmalbehörde hin die Dächer des Haupt- und der Nebengebäude mit erheblichen öffentlichen Mitteln komplett erneuert und auch die Kamine gerichtet worden sind, herrscht Stillstand. Allmählich aber müsse der Marktgemeinderat mal “Farbe bekennen” und das Haus in Ordnung bringen, meinte die Zweite Bürgermeisterin Elke Eberl, als die Judenschule mal wieder auf die Tagesordnung einer Sitzung des Marktgemeinderates fand.
Drei Jahre nach dem Ehren-Amts-Antritt des 2020 gewählten Marktgemeinderates schien es geboten, die Neulinge in Sachen Judenschule endlich auf den Stand zu bringen. Ergo wurde die gemeindliche Fachkraft für Kultur und Schlossverwaltung, Annette Schäfer, gebeten, die Baugeschichte zu beleuchten und Vorstellungen von der Verwendung des aus dem 16. Jahrhundert stammenden Gebäudes vorzutragen. Annette Schäfer (ihres Zeichens auch Kreisheimatpflegerin) gab sich alle Mühe, den Marktgemeinderäten die Bedeutung des Bauwerks näherzubringen. Aufgrund eines dendrologisch auf 1517 datierten Balkens ist es wahrscheinlich das älteste Haus Hirschaids. Zugleich ist es (ab 1880) wegen seiner jahrzehntelangen Nutzung durch die jüdische Gemeinde und die Tötung der letzten Bewohner in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten ein Mahnmal. Es gibt hingegen immer noch Hirschaider, die der Meinung sind, das seit Jahrzehnten ruinöse Gebäude am besten abzureißen und durch “was Schönes” zu ersetzen. Aufrechte Demokraten sind sich indes einig: Gerade für die Fraktion der Vergesslichen und Unverbesserlichen muss das Baudenkmal erhalten und einer sachdienlichen Verwendung zugeführt werden. Da stehen sich in Hirschaid zwei Welten gegenüber.
Ein endgültiges Konzept für die Nutzung nach einer Generalsanierung gibt es noch nicht. Überlegungen gehen dahin, in dem Gebäude eine Art Museum einzurichten, um heutige Generationen, vor allem Kinder und Jugendliche, mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte zu konfrontieren: Ja, auch in dem früher beschaulichen, bäuerlich geprägten Marktflecken Hirschaid wurde die Synagoge von den Nazis in Brand gesetzt und wurden 1942 der letzte jüdische Lehrer David Kahn, seine Frau Carry und Tochter Frieda – Bewohner dieses Hauses – nach Izbica deportiert und umgebracht. Man kann diesen drei Opfern des Nationalsozialismus begegnen: Seit einem Jahr hängt eine Informationstafel mit den wichtigsten Fakten zu dem Denkmal und den Konterfeis der Familie an der straßenseitigen Fassade.
Auch wenn Gerhard Lieberth (WGW) es bezweifelte: Aufgrund seines Alters und seiner früheren Verwendung steht das Gebäude auf der Denkmalliste des Freistaates Bayern, machte Annette Schäfer unmissverständlich klar. Vorsorglich fügte sie hinzu: “Ein Denkmal unerlaubt zu beseitigen, kann mit bis zu fünf Millionen Euro Geldbuße bestraft werden.” Es sollte also besser – auch nicht zufällig – ein Bagger gegen das Hauseck brummen… Vielmehr sei die Gemeinde als rechtmäßige Eigentümerin gesetzlich zum Erhalt des Denkmals verpflichtet, betonte Schäfer.
Ein anderer Skeptiker ist nach wie vor Dieter Wende (WGR), für den die Nutzungsfrage offen und demzufolge auch der Finanzbedarf einer Sanierung fragwürdig ist. Er sei wie ein großer Teil der Bevölkerung gegen ein weiteres Museum, gab er zu verstehen. Wende möchte das Haus ausschließlich für Zwecke der Jugendarbeit verwenden. Annette Schäfer sah sich jedoch außerstande, irgendwelche Kosten einer Erneuerung zu nennen. Die vor mehr als zwei Jahren angestellten Vorüberlegungen seien einerseits vage und andererseits durch die inzwischen eingetretene Verteuerung auf dem Bausektor überholt. Und so lange der Marktgemeinderat nicht konkret wird, was er aus dem Objekt machen möchte, sind weder Detailplanungen noch Kostenermittlung sinnvoll, meinte die Fachkraft für Museum und Kultur.
Sie hat nun für den 31. Mai den Marktgemeinderat zu einer abermaligen Besichtigung des Gebäudes eingeladen. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf den ersten Stock zu richten sein, der unter Umständen für Versammlungszwecke oder die Jugend ertüchtigt werden kann. Aber dann ist – wie bei öffentlichen Gebäuden inzwischen Standard – auch ein kostspieliger Aufzug für Besucher mit Bewegungseinschränkungen erforderlich.
“Ein Millionengrab” fürchtet denn auch Hans Wichert (WGW), nachdem vor Jahren schon von einem Aufwand in Höhe von 1,3 Mio. Euro die Rede gewesen sei. Dennoch sollte man das Haus nicht dem Verfall preisgeben, meinte Wichert. Es solle dazu dienen, den Zeitgenossen zu zeigen, wie man früher gelebt hat. (Tatsächlich diente das Ensemble über Jahrhunderte und auch noch noch dem zweiten Weltkrieg als Wohnhaus).
Eine fixe Idee brachte der SPD-Gemeinderat Dr. Josef Haas, ein promovierter Historiker, ins Spiel: Man solle die jüdische Gemeinde Bamberg als Rechtsnachfolgerin dazu bringen, sich der ehemaligen Judenschule in Hirschaid anzunehmen, auch wenn die sich noch nie für das Objekt interessiert habe, verblüffte Haas das Gremium, Kurt Barthelmes von der WGR verurteilte diese Forderung als “zynisch”. Die Marktgemeinde sei eindeutig Eigentümerin der Immobilie. Jetzt, da weitere Kosten entstünden, könne man sie nicht einfach weiterschieben. Zudem, so Annette Schäfer, gebe es in Bamberg zwei jüdische Gemeinden, aber eben keine in Hirschaid. (Dazu sollte man noch wissen, dass sich die jüdischen Gemeinden in Bamberg zu einem sehr hohen Prozentsatz aus jüdischen Kontingentflüchtlingen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken zusammensetzen. Was haben die mit Hirschaid zu tun? D. Red.)
Stattdessen leben in Israel und in England noch zwei inzwischen über 90-jährige Damen, Jenny und Sophie Merell, die einst ihre Elementarschul- und Religionsbildung an der Hirschaider Judenschule erhalten haben. Und ein Spross der jüdischen Familie Merell, die in Israel lebende Künstlerin Ruth Schreiber, hat ihre Werke für die Präsentation in einem adäquaten Rahmen Hirschaid zur Verfügung gestellt. “Werke, die schon in New York, Philadelphia und Theresienstadt gezeigt wurden, lagern bei uns im Bauhof,” stöhnt Annette Schäfer. Sie wartet sehnlichst darauf, dass der Marktgemeinderat die Sanierung endlich in Gang bringt. Landrat Johann Kalb hält nach ihren Informationen eine Förderung von bis zu 90 Prozent für denkbar. Mithin: Wenn der Marktgemeinderat nur den Willen hätte, fände sich auch der Weg – sogar durch Irrlichter hindurch. Die Zweite Bürgermeisterin Elke Eberl setzt auf den bevorstehenden Ortstermin in der Judenschule und hofft, dass daraus ein fraktionsübergreifender Workshop zur Ideenfindung zustande kommt.
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