Hirschaid. Das wuchtige Bild vom röhrenden Hirsch in einer dramatischen Gebirgslandschaft gehörte bis vor nicht sehr langer Zeit zum selbstverständlichen Wandschmuck groß- und kleinbürgerlicher Familien unseres Landes. Beim Neujahrsempfang der Marktgemeinde Hirschaid sprang den hunderten Gästen der röhrende Hirsch zahlreich in verkleinerter Version von den Notenpulten der Musikanten und dann noch vierfach im Großformat in die Augen: Eine Statue des stattlichen Wappentiers stand auf dem Podium, dazu je ein Abbild am Rednerpult und auf der Gemeindefahne sowie eins an die Rückwand der Bühnendekoration gebeamt.
Bürgermeister Klaus Homann trat mit breiter Brust und fester Stimme vors Publikum. Klar: Von den Kalamitäten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und der Inflation als Folge des Russland-Feldzuges gegen die Ukraine abgesehen, kann Hirschaid auf eine sehr erfolgreiche Zeit zurückblicken. Den dicksten Fisch zog die Marktgemeinde zweifellos mit der nun schon im Bau befindlichen “Frische-Manufaktur” von EDEKA Nordbayern an Land. Das am Ort nicht unumstrittene 100-Millionen-Projekt, das Ende 2024 in Betrieb gehen soll, ist eines der größten gewerblichen Vorhaben unserer Region. Es bringt 400 Arbeitsplätze. Der Neujahrsempfang mit Festvortrag und Ehrungen zog sich, unterbrochen von feierlichen Vorträgen der Blaskapelle “Hirschaider Blech”, über zwei Stunden hin. So bekamen die Gäste einen nachhaltigen Eindruck vom Komfort der Hallenbestuhlung.
Aus dem Träumen gerissen von zwei Salutschüssen der Böller-Schützen von “Hubertus” Sassanfahrt, ließen sich die Zuhörer*innen von zwaa “Häschaadä Waafn” – alias Gabriele Behr und Monika Schaiblein – in die freudlose Zeit von Lockdown und Kontaktsperre, ausverkauftem Klopapier und vergriffenem Salatöl, Geisterspielen und Gottesdienst im Fernsehen zurückversetzen. Immerhin konnten sich die zwaa Waafn mit Entzücken an die grandiose 150-Jahr-Feier der Hirschaider Feuerwehr erinnern, die mit dem Partnerschaftsjubiläum und der Benennung der Ivančna-Gorica-Allee verbunden war. Schwarz sahen die beiden Komödiantinnen nur mit Blick auf den neuen Kindergarten. Da rissen die paar bunten Mikado-Stäbe auch nichts mehr raus. Das Publikum schmunzelte wissend und hoffte, dass die guten Wünsche der beiden im neuen Jahr in Erfüllung gehen möchten. Zweite Bürgermeisterin Elke Eberl freute sich aufs Wiedersehen mit den “Häschaadä Waafn” in den Prunksitzungen des Häschaader Faschings Anfang Februar. Da treten dann allerdings noch andere, wahre Stimmungskanonen in Aktion.
Bürgermeister Klaus Homann kam in Anwesenheit von Staatsministerin Melanie Huml sowie der Bundestags-Abgeordneten Andreas Schwarz und Thomas Silberhorn nicht umhin, Hirschaids Erfolgsbilanz darzulegen, Millionenprojekte im Schnelldurchlauf: Sicherstellung der Wasserversorgung; Neubau eines achtgruppigen Kindergartens in Hirschaid und Planung eines Ersatzbaues in Sassanfahrt; Dorf- und Straßensanierungen in Sassanfahrt, Röbersdorf und Erlach; Erschließung und Vermarktung des Gewerbegebietes in der Röthe; erster Sanierungsabschnitt an der Grund- und Mittelschule; Planung eines neuen Seniorenheims in der Ortsmitte (nachdem die Betriebserlaubnis für das bestehende abgelaufen ist) und die manchmal holprige Zusammenarbeit mit der Bahn im Umfeld des ICE-Streckenausbaus. Dieses Projekt wird die Hirschaider noch eine Weile beschäftigen. Dazu komme die Verbreiterung der Autobahn und die Erneuerung der Kanalbrücke, wofür gerade an einer Umleitung getüftelt werde.
“Das alles,” so der Bürgermeister, sei nur mit einem aufgeschlossenen Marktgemeinderat und phänomenalem Verwaltungspersonal zu bewältigen, wofür er sich herzlich zu bedanken wusste. Ebenso ausdrücklich würdigte Homann das Engagement so vieler Ehrenamtlicher in den Vereinen und Institutionen der Gemeinde. Was da geleistet werde, könnte die Gemeinde nicht bezahlen, rühmte der Bürgermeister.
Der kulturelle Höhepunkt der Veranstaltung war eine Lesung: Dr. Matthias Kneip vom Deutschen Polen-Institut Darmstadt zitierte aus Anlass des zehnjährigen Bestehens der Partnerschaft Hirschaids mit der polnischen Stadt Leschnitz aus seinem Büchlein “111 Gründe, Polen zu lieben”. Der gebürtige Regensburger, Sohn von Vertriebenen aus Schlesien, konnte über seinen Vater sogar eine Beziehung mit Leschnitz belegen. In seinem lebhaften, humorvollen Vortrag gelang es dem Referenten, Träger des Kavalierskreuzes des Verdienstordens der Republik Polen, Sympathie für das Land der unsteten Kaczynskis, der irrwitzigen Reparationsforderungen und der Beugung Europäischen Rechts zu erzeugen. Die überaus gastfreundlichen Polen lernten zunehmend die deutsche Sprache und seien in punkto Digitalisierung ihrem westlichen Nachbarland inzwischen voraus, berichtete er. Gefragt, wie es ihm gehe, antwortet der Pole üblicherweise: “Noooo, trudno!” – “Naja, alles schlecht, alles schwierig!” Und dann erzähle der Gefragte zum Beleg am liebsten seine ganze Lebensgeschichte. Zum Überleben benötige man in Polen eigentlich nur die Übersetzung des Satzes: “Danke, ich habe keine Hunger mehr!”, informierte der Gelehrte aus Regensburg. Oder man isst nicht auf, lässt was auf dem Teller liegen. Auch das signalisiere der Gastgeberin: Satt!
Die Liebeserklärung Kneips “an das schönste Land der Welt” möchte man glatt zum Anlass einer Polenreise machen. Und ja: Der “Bamberger Zwiebeltreter” sammelt unter seiner Webadresse wb@ba-z.de Zuschriften von Interessenten, die eventuell in der zweiten Pfingstferien-Woche das Land bereisen wollen, in dem jeder fünfte Storch der Welt lebt. Mal ganz abseits der Terminhetze einer Städtepartnerschaft durch ein Land ausgewählter Höflichkeit zu bummeln, keine Festreden hören zu müssen und stattdessen vielleicht mit einem Stakenboot über den polnischen Amazonas zu fahren (ist laut Kneip möglich), sollte eine reizvolle Tour werden. Bei ausreichendem Interesse wird der “Bamberger Zwiebeltreter” zusammen mit einem Polen-erfahrenen Busunternehmer eine Reise mit Teilnehmern aus unserer Region organisieren. Versprochen, bitte melden!
Traditionell werden beim Neujahrsempfang drei Persönlichkeiten mit der Bürgermedaille geehrt. Bürgermeister Klaus Homann, seine Stellvertreterin Elke Eberl und sein weiterer Stellvertreter Markus Zillig teilten sich die Aufgabe. Ausgezeichnet wurden Mathilde Bergmann, Cäcilie Göller und Roswitha Dirmeier. Alle drei waren Jahrzehnte lang Mitglieder des Marktgemeinderats und seiner Ausschüsse. Darüber hinaus erfüllten sie viele Ehrenämter in der Leitung des Krippenmuseums, im Kirchenvorstand und als Mesnerin oder in der Leitung des Obst- und Gartenbauvereins. Roswitha Dirmeier ist es etwa zu verdanken, dass Hirschaid “den schönsten Kreisverkehr im ganzen Landkreis” hat. Landrat Johann Kalb überreichte ihr noch eine Dankurkunde des Bayerischen Innenministers Joachim Hermann für ihre Verdienste um das Gemeinwohl.
Zum Schluss wurden Vertreter jener Vereine auf die Bühne gebeten, die geholfen hatten, den Neujahrsempfang auszurichten. Besonders erwähnt wurde Norbert Rittmaier für sein letztes Mal. Herzlicher Dank ging an die DLRG, die mit ihrer hingebungsvollen Betreuung der Corona-Teststation vielen Hirschaidern über die Runden geholfen hat – und mit trocken Brot den kleinen Hunger der Festgäste stillte. Mehr gibt’s da zum Picken ganz einfach nicht. Dafür allerlei, um die Krümel hinunterzuspülen.
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