Ein besonderes Stück Erinnerungskultur

149 Lieder - teils vergessen - verbinden nun Israel und Deutschland in einem Buch

29.12.2022
So sah das deutsch-ilidische liederbuch von 1912 aus Nun ist es non therarheirer hei Schort Music erschienen.
Foto: Harald Kaster
von Red.

Wernsdorf. Ein besonders ehrgeiziges Projekt hat sich dem Ende zugeneigt. Erschienen ist es eine neue Form der musikalischen Erinnerungskultur; ein Buch über Musik zweier Völker. Ein Versuch der Völkerverständigung, die angesichts politischer Entwicklungen in dieser Zeit wohl wieder aktueller wird denn je. Das “Projekt 2025 Arche Musica” unter Leitung der Familie Spindler hat in neun Monaten Arbeitszeit die musikwissenschaftliche Bearbeitung von 149 jüdischen und deutschen Musikstücke abgeschlossen. Realisiert wurden die Transliteration der Texte und die Übertragung der Noten maßgeblich durch Dr. Gila Flam, der Direktorin des Musikarchiv der Israelischen Nationalbibliothek. Sie zählt zu den führenden jüdischen Musikwissenschaftlerinnen weltweit. Bereits in dieser Neuinterpretation steckt also ein internationaler Ansatz.

Gleichberechtigung hebräischer und deutscher Musik

Konkret handelt es sich bei diesem nahezu schon Schmuckstück um eine Sammlung des Autoren Abraham Zwi Idelsohn (1882–1938). Er konzipierte es als grundlegendes musikpädagogisches Werk, um es für den Musikunterricht in Kindergärten, Volks- und höheren Schulen in Palästina, Deutschland und in der Diaspora einzusetzen. Die Sammlung entspricht also einem Versuch der Völkerverständigung, welche bereits im Kindesalter an beginnen sollte. Das in der Israelischen Nationalbibliothek von Jerusalem erhaltene Original ist ein herausragender Beleg der gleichberechtigten Verwendung hebräischer und deutscher Musik. Zugleich spiegelt es die Träume der Juden wider, in der deutschen Gesellschaft als gleichberechtigte Bürger angekommen zu sein. Dieser Traum zerplatzte 1933 mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Innovativ war Idelsohns Idee, das Liederbuch zweisprachig anzulegen und im hebräischen Teil der Liedsammlung die Notenschrift analog der hebräischen Schrift von rechts nach links zu notieren. Es ist das erste in dieser Art dokumentierte Werk mit enormer Relevanz für die heutige Gesellschaft.

Aus Zufall fündig geworden

Tbomas Spindler, Pro­jektleiter des Digitalisierungspro­jekts „Arche Musica”, stieß mit seinem Bruder Andreas bei einem Besuch in Tel Aviv darauf – und war begeistert von der Symbolkraft des „Deutsch-Jüdi­schen Liederbuchs”. In ihm stehen 100 jüdische Lieder in hebräischer Schrift sowie 49 deutsche Volks­lieder. Darunter finden sich Stücke wie „Am Brunnen vor dem Tore” oder auch die „Lorelei”. Jedoch werden nur die deutschen Stücke in der für uns gewöhnlichen Schreibweise von links nach rechts notiert. Für einen Großteil des Buches mussten die Noten gespiegelt werden, da die hebräische Schrift von rechts nach links verläuft. Um die Lieder zugänglich zu machen, musste Gila Flam teils aus dem aschkenasischen Jiddisch ins moderne Hebräisch übersetz­en. Der Verlagsbereichsleiter des herausgebenden Schott Musikverlags erinnert sich: “ein solches Projekt hatten wir in unserer mehr als 250-jährigen Verlagsgeschichte noch nicht.”

Erste Bausteine für eine musikalische Erinnerungskultur

“Die Projektpartner planen eine intensive und langfristige Zusammenarbeit mit dem Deutschen Chorverband (DCV). Er ist mit einer Million singenden und fördernden Mitgliedern in 15.000 Chören die erste Adresse für das vokale Amateurmusizieren in Deutschland. Dieses breite Fundament bietet die ideale Ausgangsbasis für einen musikalischen Austausch mit israelischen Chören, Chorverbänden und Musikeinrichtungen, die in den kommenden Jahren einen intensiven Dialog etablieren sollen”, so Thomas Spindler. Die musikalische Begegnung und der Dialog der jungen Generationen aus Deutschland und Israel sei ein großes Projektziel, um gemeinsam dem Chorgesang und dem Thema Singen sowohl in der breiten Öffentlichkeit als auch bei Entscheidern aus Kultur, Politik und Gesellschaft eine starke Stimme zu geben. Dabei bilden die Lieder aus dem „jüdisch-deutschen Liederbuch von 1912“ erste Bausteine für eine neue Form der musikalischen Erinnerungskultur. Immerhin waren auch in Israel einige der im Buch enthaltenen hebräischen Lieder heute unbekannt.

Schirmherrschaft von Tragweite

Verantwortlich für die Planung, Koordination, Durchführung und Finanzierung dieser Arbeiten ist das deutsch-israelische „Projekt 2025 – Arche Musica“ unter der Leitung von Thomas und Andreas Spindler (Deutschland) sowie Danny Donner (Israel). Wegen der besonderen Bedeutung hat Dr. Felix Klein, der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, die Schirmherrschaft übernommen.

 

Weitere Informationen unter: www.arche-musica.org

Fotos: Ruediger Schestag
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