Die Faschingszeit ist vorüber und nun folgt der bittere Ernst des Lebens – die Fastenzeit. Da kehrt so mancher in sich und überlegt sich, was er / sie alles einsparen kann. Kleine Hinweise geben uns da die zahlreichen Fastenpredigten, gerade bei uns in der katholischen Domstadt. Bereits zum siebten Mal schreitet am 10. und 11. März Abt Wolfram vom Michelsberg hinab, um uns einfache Menschen zu läutern. Nahezu ebenso göttlich wie die sieben findet die Fastenpredigt bereits zum dritten Mal als Doppeltermin statt. Ein Anlass für ein ebenso vollständiges und ganzheitliches Interview mit dem Mann dahinter: Wolfgang Reichmann.
Wolfgang Reichmann ist Tausendsassa und für die meisten von uns ein waschechter Franke. Dabei stimmt das nur zum Teil. Der ehemalige Basketballprofi hat nämlich sächsische Wurzeln – und die sind auch noch evangelisch. So. Jetzt ist sie raus, die Katze aus dem Sack.
Glücklicherweise – sofern man das so sagen darf – kam dann aber der Krieg, der Familie Reichmann immer weiter nach Süden verschlug; bis nach Bamberg. Wobei Vater Reichmann aber bis 1946 in kanadische Kriegsgefangenschaft geriet. In Bamberg dann kam es zum oben beschriebenen Vorfall. Bombe runter. Halbes Haus weg. “Die Küche”, so erinnert sich Wolfgang aus Erzählungen, “hing fast in der Luft.” Mutter Reichmann mit Klein-Reichmann Tochter Monika musste nach Waizendorf fliehen und fand hier Unterschlupf auf einem Bauernhof. Sohn Wolfgang kam dann 1947 zur Welt. Geprägt von dieser Zeit auf dem Land liebt er heute noch die zünftige fränkische Brotzeit und ergänzt: „vor allem, wenn sie mit Presssack ist“. Den katholischen Einfluss hat er auch in dieser Zeit bekommen. Da hätte es regelmäßig Kreuze auf das Brot gegeben, damit die Ernte gut werde, oder auch Gebete am Gotteswinkel inklusive Illumination sogenannter Gewitterkerzen, damit das Heu beim Unwetter nichts abbekomme. Das und seine Jugend in der Wunderburg prägten den jungen Wolfi – oder „Lefti“, wie er liebevoll von seinen Mitschülern als Linkshänder genannt wurde – bis heute. In die Wunderburg zog Familie Reichmann dann freiwillig, als Wolfgangs Vater in der Wunderburg eine Stelle bei der Post erhielt; später beim Kreiswehrersatzamt. In dieser Zeit lernte Wolfgang , wie wichtig es ist, draußen zu sein und sich zu bewegen, den Kopf frei zu bekommen und vor allem mit seinen Mitmenschen zusammenzustehen. Sich gegenseitig zu unterstützen und dabei bodenständig zu bleiben, das ist ihm bis heute wichtig. “20 Jahre Wunderburg gehen an einem nicht vorrüber. Das war wie Familie”, erinnert er sich heute. Nur während des Faschings, da ging es anders zu, erinnert sich der ehemalige Wunderburger. Denn zu Fasching, da sei man gegen Gangolf gezogen. Auseinandersetzungen kennt Reichmann sonst nur aus dem Sport; zum Beispiel als er im zarten Alter Fußball spielte oder mit Anlauf über den damaligen Fünferlessteg über den rechten Regnitzarm sprang, um seine Pfennige zu sparen. Auseinandersetzungen kannte da schon eher seine Mutter, die im Kleinkindalter ihres Sohnes wohl recht verzweifelt gewesen sein muss, da der später bekannte Sportkommentator bereits in den ersten zwei Jahren seine Stimmbänder trainierte. So beobachtete er schon damals das Geschehen auf der Dorfstraße und kommentierte lauthals.
Religion hatte Wolfgang Reichmann bereits mit der Muttermilch aufgesogen. Sein Onkel war nämlich strenger evangelischer Dorfpfarrer in Buchau und Weismain. Dort verbrachte er auch teilweise seine Jugend, wenn er stets im Sommer für einige Wochen im dortigen Pfarramt lebte und seine Ferien verbrachte. Die Kirche habe gezittert, wenn sein Onkel sprach. Das, so sagt er gegenüber der BAZ, möchte er den Menschen in seinen eigenen Predigten aber nicht mitgeben. Da sei für ihn eine gute Mischung wichtig aus Respekt und Nächstenliebe. Das ist auch der Grund dafür, warum Wolfgang auf der Bühne zu Wolfram wird. Während Wolfram reflektiert, sorgt Wolfgang für Humor. Ihm sei es besonders wichtig, Nischen aufzudecken, der Bevölkerung einen Spiegel vorzuhalten und dadurch zu befähigen, Gutes aufzunehmen. Das Schönste für den heutigen Humoristen sei vor allem das Feedback nach den Veranstaltungen. Er liebt es, vor Beginn der Vorstellung heimlich zwischen den Vorhängen herauszuspitzen und sich das Publikum anzusehen. So viel Zuspruch zeige ihm, dass er eine richtige Fangemeinde habe – was ja irgendwie gerade hinsichtlich der Fastenpredigt fast schon wie eine Kirchengemeinde wirkt. Ob er aufgrund seines religiös geprägten Hintergrunds auch singen könne, möchte ich wissen. Er lacht. Seine einzige musikalische Ambition wäre das Flötenspiel gewesen, das aber so schrecklich gewesen sein muss, dass er bei seinen heutigen Aufführungen nur noch Kassettenrekorder zu Hilfe nimmt.
Wolfram ist übrigens eine Figur, die nicht von Wolfgang selbst kommt, sondern von Sibylle Kretzschmar, der Rektorin der Hirschaider Grund- und Mittelschule. Inspiriert vom Münchner Nockherberg kam ihnen die Idee, auch die Bamberger ein Mal im Jahr „zur Buße“ einzuladen. Soziale Probleme sollten hier angesprochen und Rechenschaft gezogen werden. Ganz wichtig: Reichmann ist ein Mann der Nächstenliebe. Hier wird nicht „draufgehauen“, wie er sagt, sondern geistiger Wert vermittelt. Hier steht keiner am Pranger. Geschichten werden ordentlich aufbereitet. Über ein ganzes Jahr sammelt Reichmann Geschichten der Region und fasst sie schriftlich zusammen. So entstehen am Ende Manuskripte von 80 Seiten Länge. „Die schönsten Ideen kommen mir nachts. Während ich sie früher am nächsten Morgen aufschrieb, muss ich das jetzt aber sofort nachts machen“, sagt er schmunzelnd in Anlehnung an sein zartes Alter von 75 Jahren. Vielleicht verhilft ihm diese Akribie dazu, dass er bis heute keine Rüge auferlegt bekommt. Seine Inhalte werden akzeptiert, wie sie sind. Eine deutlich größere Gefahr erkennt er darin, das Niveau seiner Aufführungen alljährlich halten zu können. Kritik gibt es bisher nicht – und wenn, dann nur ganz wenig. Kritiker kommen eher aus den eigenen Reihen – seiner Familie. Da gibt es zum Beispiel diesen einen Schwager, der Mitglied der Schutzgemeinschaft Alt Bambergs ist und sich damit satzungsgemäß um den Schutz der Kulturdenkmale dieser Stadt kümmert. Der nämlich meint, dass im Kloster Michelsberg Benediktiner gelebt hätten. Wolframs/gangs Kutte aber sei zwar auch schwarz als Farbe der Einfachheit, Demut und Buße. Zwar trage er auch eine Kapuze und einen Gürtel. Doch fehle die weiße Haube. Viel gravierender aber ist der Rosenkranz, auf den ein Benediktinermönch schon aufgrund seiner arbeitenden Tätigkeit – meistens bei der Landwirtschaft – verzichtete. Besonders augenscheinlich aber ist eben der Gürtel (eigtl. Zingulum genannt). Der schlichte weiße Strick um Wolframs Taille nämlich, der als Zeichen der Armut, Keuschheit und des Gehorsams gleich mehrfach geknotet wurde, existiert nur bei den Franziskanern. So oder so… Wolfgang geht’s hier auch mehr um die Erinnerung an die berühmte Schreibschule droben am Berg über den Dächern der Domstadt. Die Verkleidung selbst lasse ihn bedeutend erscheinen. „Ich fühle mich da scho a weng erhaben“, meint er augenzwinkernd.
Zum Schluss möchte ich noch wissen, warum er als evangelisch-sächsischer Fastenprediger im Mönchsgewand dann ausgerechnet einen katholischen Abt darstellen müsse. Zumal Wolfgang Reichmann von der Kirche selbst gar nicht derart viel hält. Er lacht wieder und meint: „Den evangelischen Pfarrer gibt’s ja schon. In Litzendorf. Marianus Schramm.“
Eines steht fest: Hinter der Fastenpredigt am 10. und 11.3. steckt viel mehr als das, was wir auf der Bühne erleben. Eigene Lebensereignisse spielen da hinein, die Wolfgang Reichmann von seinen Eltern aus Sachsen übernahm und bei seinem Onkel im Pfarrhaus erlebte. Die Liebe zur fränkischen Brotzeit, das Zünftige und Humorvolle spielt hier eine ebenso große Rolle wie der Wunsch, zu läutern und zu erhellen. Wer hätte gedacht, dass ein Bombenangriff auf den Bamberger Bahnhof 1945 dazu führen würde, dass wir heute in Bamberg einen der humorvollsten Prediger Bayerns haben? Als Wolfram vom Michelsberg zeigt uns Wolfgang, wie man in der Fastenzeit nicht nur Buße tun, sondern auch lachen kann. Wenn Sie also demnächst auf einer seiner Vorstellungen sind, achten Sie darauf, wer hinter den Vorhängen steht – es könnte Wolfram selbst sein, der seine Fans heimlich begutachtet. Vielleicht ist es sogar eine neue Glaubensgemeinschaft – die Wolframianer! Wir danken Wolfgang Reichmann für das Interview und wünschen ihm weiterhin viel Erfolg – ob als Wolfram oder als Wolfgang, Hauptsache er behält seine Liebe zum Presssack bei!
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Eine Antwort
Ich verzichte in der Fastenzeit auf Süßigkeiten, ich kaufe halt einfach keine.
Was nicht im Schrank liegt, kann auch nicht gefuttert werden.
Die Aussicht auf das eine oder andere kg weniger hilft mir dabei.