Heiligenverehrung 

Reliquie von Bischof Otto typisch für Franken?

5.07.2022
Mit dem Unterkiefer des hl. Bischofs Otto wurde in der Landesausstellung “Typisch Franken?” der Heiltumsort Bamberg vorgestellt.
Foto: Werner Baier
von Werner Baier

Bamberg. Der Stadt und ihren Gästen fehlt seit Jahren eine angeblich heilbringende Attraktion: das Grab des heiligen Bischofs Otto. Es ist wegen der Renovierung der Klosterkirche St. Michael für lange Zeit nicht zugänglich. Wer durch den schmalen Spalt der Tumba in Hockstellung krabbeln könne, ohne oben oder seitlich anzustoßen, der sollte von Rückenleiden verschont bleiben. So die fromme Legende. Tatsächlich krochen Jahrhunderte lang unzählige Kirchenbesucher durch, aber ohne an dem Sarggebilde anzuecken, schafften es nur Schlanke, Gelenkige und Junge.  Doch vom heiligen Otto versprach man sich früher weitere Wundertaten. Und davon kündete in diesem Jahr die Bayerische Landesausstellung “Typisch Franken?” in der Ansbacher Orangerie.

Der “Otto-Wein” sollte helfen

Besucher kamen hier dem “Bamberger” Heiligen, dem im 12. Jahrhundert amtierenden Bischof Otto, dem Pommern-Missionar, so nahe wie zurzeit höchstens die Bauarbeiter in der Michaelskirche. Plötzlich stand man vor der Kinnlade des Heiligen, die – in Edelmetall gefasst und mit funkelnden Steinen verziert – hinter Vitrinenglas präsentiert wurde: schaurig schön, zahnlos. Auf der Informationstafel daneben wurde erklärt, was es mit diesem Skelettteil auf sich hat: Früher schleppten sich Fieberkranke und nach einem Hundebiss möglicherweise von Tollwut Befallene auf den heiligen Berg der Bamberger, um dort vom “Otto-Wein” zu trinken und Heilung zu erwarten.

Gruselige Rosskur

Eine gruselige Rosskur, denn in den Wein hatten die heilkundigen (und gewiss auch geschäftstüchtigen) Benediktinermönche eben jenen Unterkiefer getunkt.  Als Aufbewahrungsgefäß diente eine silbern gefasste “Hirnschale”, die ebenfalls mit dem wundertätigen Bischof in Verbindung gebracht wurde. Und es mangelte auch nicht an heiligem Brimborium, an Gebeten und Beschwörungsformeln. Sie sind schriftlich überliefert, wie wir von Domkapitular Dr. Norbert Jung, der zufällig in Ansbach Pfarradministrator von St. Ludwig ist, erfuhren.

Gar nicht typisch Franken

Sehr weit ging das Informationsangebot zu diesem Exponat in besagter Ausstellung nämlich nicht. Weshalb wurde es in jener Ausstellung präsentiert? Um das Resultat unserer Recherchen vorweg zu nehmen: Nein, es ist grundsätzlich nicht typisch für die Region, auch nicht für katholische Franken, vom Kontakt mit Heiligenreliquien Fürsprache und göttliche Hilfe zu erwarten. Das ist globaler und nicht nur im Katholizismus verbreiteter Bestandteil (manche werden sagen: Unsinn) fast jeglichen Volksglaubens, von der Orthodoxie über den Islam bis zum Buddhismus. Totenkult gehört zur Menschheitsgeschichte. Die fränkische Besonderheit in diesem Fall: Der heilige Bischof Otto wirkte im Erzbistum Bamberg, sein Grab ist ebenda.

Als Ansbacher Seelsorger war Domkapitular Jung über dieses Exponat in der Ausstellung gar nicht glücklich. “Man könnte denken, dass man damit den evangelischen Mittelfranken die Katholiken vorführen möchte!”

Lange verschollen

Der gebürtige Bamberger hat als Leiter der Hauptabteilung Kunst und Kultur der Erzdiözese aus Anlass des Jubiläums “1000 Jahre Kloster Michaelsberg” im Jahr 2015 unter anderem zu dieser Reliquie eine Dokumentation erstellt. Das damals schon gezeigte “Unterkieferfragment mit 18 Zahnhöhlen ohne Zähne” wird demnach schon 1483 im Verzeichnis des Klosterschatzes aufgeführt. Das Heiltumsverzeichnis von Hartmann Schedel erwähnt “eine silberne Monstranz, in der der Unterkiefer des hl. Otto enthalten” ist. Und im Londoner Heiltumsbuch ist diese sogar abgebildet, hat Jung herausgefunden. 1781 wird die Kinnlade des Heilligen ausdrücklich im Zusammenhang mit dem Brauch genannt, Fieberkranken den Otto-Wein zu trinken zu geben. Der wurde durch Eintauchen der Reliquie gesegnet.

Lange in Privatbesitz

Als der Kirchenschatz nach der Säkularisation 1803 versteigert wurde, wird die in Silber gefasste Hirnschale zwar erwähnt, seitdem galt sie als verschollen. Im Jahr 2000 gelangte die Kinnlade aber ins Diözesanmuseum, nachdem sie sich wohl längere Zeit in Privatbesitz befunden hatte. Es lasse sich, so Jung, “eine Herkunft aus dem Umkreis der Dompfarrgeistlichkeit … plausibel machen.”

Vom “mundus catholicus”

Warum nun wurde der in Bamberg meist verborgene Schatz ausgerechnet in einer Ausstellung zum Thema “Typisch Franken?” präsentiert? Einer der Kuratoren aus dem Haus der Bayerischen Geschichte, Professor Dr. Christof Paulus, gab uns dazu eine ausführliche Stellungnahme. Danach symbolisiere der Unterkiefer des hl. Otto “auf sehr eindrückliche Weise den mundus catholicus (etwa: katholischer Raum) im Heilsort Bamberg”. Damit stehe er stellvertretend für die nova Roma, das neue Rom, als das Bamberg in der Vormoderne gegolten habe. Die barocke Frömmigkeit, für die die Reliquie zeuge, habe für Jahrzehnte die fränkische katholische Welt geprägt. Die fromme Klostergelehrsamkeit werde vor allem an den Klöstern Banz und Michaelsberg gezeigt, informiert der Kurator.

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