Migration

Mit Lama aus Aleppo im Bamberger Aleppo

3.09.2022
Zakaria Agouz und Lama Shamouka mit ihren KIndern Ali und Mila: Die Flüchtlinge aus Syrien haben im Raum Bamberg eine neue Heimat gefunden und sind zufrieden.
Foto: Werner Baier
von Werner Baier

Bamberg/Pettstadt. Es sind nur ein paar Schritte aus der fränkischen Duftwolke von Bierdunst, Schweinsbraten und Sauerkraut, die aus dem Brauereigasthof “Fässla” wabert, ins orientalische Einkaufsparadies „Aleppo“.
An der Oberen Königstraße betreibt der Syrer Omar Jammal aus Aleppo seit gut 20 Jahren einen Krämerladen in der Art von “Tante Emma”. Schon im Eingangsbereich eine andere Welt: Drei Frauen in bodenlangen Kleidern von erdigen Farben, die Gesichter von stramm sitzenden Kopftüchern eingerahmt, fachsimpeln in arabischer Sprache über das wohlfeile Gemüse.

Erst die Männer fragen

“Darf ich diese Szene fotografieren?”, lasse ich die Flüchtlingsfrau Lama Shamouka übersetzen. Die Antwort kommt sehr verlegen daher: “Sie müssten erst ihre Männer fragen, ob sie sich fotografieren lassen dürfen.” Ich verzichte. Stattdessen begleite ich die in Pettstadt gestrandete Asylbewerberin beim Einkauf in dem Krämerladen: Die 1991 in UNESCO-Weltkulturerbe Aleppo geborene Lama Shamouka kauft im Weltkulturerbe Bamberg in einem Geschäft namens “Aleppo” ein. Das ist uns schon mal eine Story wert, dieuns vom Leid in der Welt erzählt und von der Hoffnung, die trotzdem keimt.

Gnadenloser Kampf

Ja, es überfällt sie Heimweh nach der von einer wuchtigen Zitadelle bekrönten Altstadt im Herzen Syriens, mit der weltberühmten Omaijaden-Moschee und den 400 Jahre alten Holzhäusern. Die Metropole ist in dem nun schon elf Jahre dauernden Bürgerkrieg mit Beteiligung von Russland, den USA, dem IS und Iran, der Türkei und verschiedenen islamistischen Horden weitgehend zerschossen und zerbombt worden: Die Gier nach dem Öl in Syriens Erde kennt keine Gnade, mit nichts und niemand. Die Assad-Regierung versucht sich gerade in einer scheinbar friedlichen Phase am Wiederaufbau Aleppos. Dort leben noch Lamas (sprich kurz: Lamma) Vater und ihre Schwester mit ihrer Familie. Prekäre Verhältnisse: Die Mathematiklehrerin verdient in Aleppo derzeit an die 140000 Lira, umgerechnet 34 Euro, im Monat. Dabei nähern sich die Einkaufspreise dem europäischen Niveau: Nur Lebenskünstler kommen durch.

„Rote Lippen“ mit Bachelor

Lama hat ihrem Vater Abdulnasser nicht nur einen in Arabisch überaus freundlichen Vornamen – “rote Lippen” – zu verdanken. Dass ein Mann seine beiden Töchter studieren lässt, ist in jener Hemisphäre noch nicht selbstverständlich. “Rote Lippen” hat nach Grund- und Secondary-School Englische Literatur studiert. Sie könnte seit ihrem Bachelor-Abschluss 2015 an der Universität von Aleppo längst Englisch-Unterricht an einer der vielen Schulen ihrer Heimatstadt erteilen. Und mit ihrem Mann Zakaria Agouz, der bei einem Bauingenieur als Bauzeichner gearbeitet hat, in einer der historisch interessantesten Städte der Welt einigermaßen komfortabel leben.

Nase voll vom Militär

Doch Zakaria hatte nach dem zweijährigen Grundwehrdienst die Nase voll vom Militär. Er wollte nicht töten müssen noch Zielscheibe sein. Zakaria floh den Krieg, machte sich auf den Weg nach Europa, um schnellstmöglich seine Frau nachzuholen. Mit dem Schiff reiste er aus der Türkei nach Mazedonien und dann in einer Gruppe zu Fuß, per Bus oder Autostopp nach München; von dort behördlich verbracht nach Scheßlitz und im August 2016 in das Flüchtlingsheim in Strullendorf.

Tödlicher Bombenhagel

Im Herbst 2016 “die Katastrophe”: Eine Bombe zertrümmerte die Obergeschosse des Hauses, in dem das junge Paar gelebt hatte und Lama noch wohnte. Das Gebäude stand in einem Stadtviertel, in dem sich islamistische Aufständische eingenistet hatten. Der daraus folgende Bombenhagel Assads und seiner Verbündeten raubte der unschuldigen Bevölkerung die Existenz und vielen das Leben. Aufruhr, Feindseligkeit, tödliche oder gesetzlose Bedrohung überall. Lama Shamouka verabschiedete sich von ihrem inzwischen verwitweten Vater sowie der Schwester und tippelte nach Idlib, dem heißumkämpften Grenzort zur Türkei. In einer Flüchtlingsgruppe über die Grenze geschleust, kam Lama dann mit einem Bus weiter nach Istanbul, wo sie bei einem Cousin Unterschlupf fand und sich von den Strapazen der Flucht erholte. Im Deutschen Konsulat erhielt sie nach kurzer Prozedur die Erlaubnis zum Familiennachzug. Ihr Geld reichte gerade noch für einen Flug nach Nürnberg, wo Zakaria seine Frau endlich wieder in die Arme schließen konnte.

Neue Heimat Pettstadt

Nach den Einreiseformalitäten durften Zakaria und Lama am 5. Februar 2017 eine schlichte Dachgeschosswohnung in einem schon etwas angegrauten Haus am Ortsrand von Pettstadt beziehen. Die beiden lernen seitdem eifrig Deutsch. Zakaria fand Arbeit im hauswirtschaftlichen Dienst des Klinikums Bamberg, qualifizierte sich zum Vorarbeiter und hat gerade eben, am 1. September, die Ausbildung zum Krankenpfleger begonnen.

Deutsche Staatsbürger

Lama Shamouka bemuttert derweil ihre Kinder, den vierjährigen Ali und die zweijährige Mila. Wenn die Kleine auch im Kindergarten aufgenommen sein wird, im April 2023, will sich Lama um eine Berufsausbildung bemühen oder um einen Arbeitsplatz. Noch in diesem Jahr erwarten die beiden die Erteilung der deutschen Staatsbürgerschaft. Alle Voraussetzungen sind erfüllt, die Anträge gestellt. Und dann? Größter Wunsch ist eine bessere Wohnung in Pettstadt, denn hier fühlt sich die ganze Familie pudelwohl. “Alle sind hier so freundlich”, sagt Lama, “wir haben schon etliche gute Freunde gefunden”. Was nicht verwundert bei einer Frau, die so viel Freundlichkeit ausstrahlt und ein Lächeln besitzt, das der Vater wohl geahnt hat, als er seine Tochter “Rote Lippen” nannte.

Einmal „Scheiß Ausländer!“

Alle sind freundlich? Eine Ausnahme fällt Lama Shamouka ein: Eine einzige alte Frau habe ihr in Bamberg mal “Scheiß Ausländer” ins Gesicht gesagt. “Es war ja nur einmal in fünf Jahren,” wiegelt Lama ab. Und wischt sich verstohlen eine Träne.

Alles ist „halal“

Mit dieser entwurzelten, aber eben auch mutigen und liebenswerten Frau also beim Einkaufen im “Aleppo” an der Oberen Königstraße. Es riecht hier nicht so intensiv wie in den Souks der arabischen Welt, denn: Hier ist das meiste verpackt. Lose Gewürze werden aus Glasdosen in mitgebrachte Behälter gefüllt. Anders als in den Bazaren Arabiens hängen hier auch keine enthäuteten Schafe und Ziegen an Wandhaken. Es gibt Fleisch – natürlich “halal”, in den Niederlanden nach den Regeln des Koran geschächtet – appetitlich in Kühltheken präsentiert. Ja, um sich mit Fleisch vom Rind, Lamm oder Hähnchen sowie daraus gefertigten Wurstwaren einzudecken, kommt Frau Shamouka alle 8 bis 14 Tage ins “Aleppo”. Zum Selbstbedienen Rindersalami oder Pasteten aus Hähnchenfleisch (letztere zu 1,29 Euro pro 200 Gramm).

Ganz viel Süßes

Sie findet da auch die Küchenutensilien, die eine Orientalin eben so braucht. Dazu gehören zum Beispiel Holzformen für die Herstellung von Süßigkeiten. Apropos: Es sollte nicht wundern, wenn ein Viertel des Ladens allein mit Süßwaren, Kuchen und Torten sowie Knabberartikeln in jedweder Darbietungsform angefüllt ist. Ali und Ayshe, Mohammed und Mila – süße Gaumenfreuden mögen sie alle.

Angebot wie im Souk

Lama kommt an der winzigen Kosmetikecke vorbei und greift zu: Da liegt sie, die fein duftende Olivenseife mit einem Bild von der Zitadelle auf dem Cover. Malzbier “Barbican” gibt es, aber Alkoholisches sucht man vergebens. Die Flasche natives Olivenöl kostet 14 Euro, in Syrien derzeit 56000 Lira, einen halben Monatslohn. Granatapfelsoße, Rosenwasser, Halwa mit Sesam und Pistazien, Bulgur und Couscous, Sesampaste, Hummus in etlichen Kreationen, Joghurt, frische und getrocknete Okraschoten, dicke Bohnen und andere Hülsenfrüchte, extra scharfe Mixedpickles – alles, was das Herz des Orientalen begehrt, ist zu haben.

Auch deutsche Kundschaft

Die Ware kommt aus der Türkei, aus Jordanien oder dem Libanon. Sie trägt den Stempel “Halal Europa” und stammt überwiegend von Lebensmittelfirmen syrischer Herkunft. Viele Fabrikanten haben ihre vom Bürgerkrieg verheerte Heimat verlassen und Produktionsstätten in den Nachbarländern eröffnet. Ihre Erzeugnisse finden in den europäischen Zufluchtsländern großen Anklang – auch bei Flüchtlingen aus Eritrea, dem Iran oder anderen Ländern des Nahen Ostens. Allein in Bamberg leben derzeit knapp 2000 Migranten aus Syrien, darunter vielel in der ANKER-Einrichtung des Bezirks. Das “Aleppo” bietet für sie alle ein Einkaufserlebnis im heimatlichen Ambiente. Und deutsche Kunden schauen auch vorbei. Sie sind vor allem an den arabischen Kaffee- und Teesorten interessiert. An Stamm- und Laufkundschaft hat das “Aleppo” offenbar keinen Mangel. Es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Kaum jemand verlässt das Geschäft ohne frisches Fladenbrot, Falafel oder Sesamkringel.

Richtige Petersilie

Und was hat Lama Shamouka immer in der Tasche, wenn sie den Laden verlässt? Den Alwazah-Tea (Schai) und “Petersilie”, antwortet sie, Petersilie, die voll nach Petersilie schmeckt und nicht nur ein bisschen, wie jene aus den deutschen Supermärkten, lautet ihre Erklärung. “Shokran”, sagt Lama zum Kassier und “Alsalam alaikom”, Danke und Tschüs!

Abonniere die BAZ per Mail

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Lesen Sie auch