Neujahrsempfang: Die Stadtgesellschaft kann sich ein Beispiel an Zuversicht nehmen

Johannes Grasser: meist im Rollstuhl, aber auch auf dem Zuckerhut oder beim Wellenreiten

21.01.2023
Oberbürgermeister Andreas Starke hatte die Amtskette angelegt: Viele Gäste aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft folgten der Einladung zu einer optimistisch stimmenden Veranstaltung.
Foto: Arno Schimmelpfennig
von Werner Baier

Bamberg. Ein Plädoyer wider die Verzagtheit hielt beim Neujahrsempfang der vor 33 Jahren im Bamberger Klinikum geborene Johannes – “Johnny” – Grasser. Als er mit seiner mutmachenden Festansprache fertig war, erhob sich die gesamte Festversammlung in der Konzert- und Kongresshalle. Grasser nahm die Standing Ovation wie immer im Rollstuhl sitzend entgegen. Er braucht sein ganzes Leben lang helfende Hände bei vielen alltäglichen Verrichtungen – aber auch, um von einem Sprungturm ins -becken eines Bades zu platschen, um, sich an zwei seitlich an ein Board montierten Stangen festhaltend, ein paar Sekunden in meterhoher Meeresbrandung zu surfen oder in einem 15-stündigen Kraftakt auf den Zuckerhut in Rio de Janeiro zu klettern. Klar, dass so ein Mann das Abitur geschafft und Sportwissenschaft studiert hat. Zur Not kann er schon mal den Bamberger Bundesliga-Basketballern sagen, was sie denn mal wieder falsch machen.

Drei Bürgermeister sagten Johannes Grasser Dank für einen eindrucksvollen Vortrag: Ein Rollstuhlfahrer kommt auf den Zuckerhut – das macht Mut!

Extremsportler allen Umständen zum Trotz

Johannes Grasser leidet an einer “beinbetonten Tetraspastik”. Die kurz nach der Geburt diagnostizierte “infantile Zerebralparese” hat weder das mit starkem Willen ausgestattete intelligente Kind, noch den Jugendlichen und schon gar nicht den Erwachsenen gehindert, seine gesteckten Ziele zu erreichen. Von Anfang an allerdings spürte seine Familie die Grenzen unseres Gesundheitssystems, wurde bekannt.

Johannes Grasser berichtete vor dem andächtig, ja ergriffen zuhörenden Auditorium von der täglich notwendigen physikalischen Therapie. Sie hielt ihn nicht davon ab, Extremsportler zu werden, Weltrekorde und die Teilnahme an der Paralympics anzustreben. Was wünschen sich Menschen mit Einschränkungen? “Ohne Scheu aufeinander zugehen, miteinander sprechen!” ist seine Empfehlung an alle mit und ohne Handicap.

Und was machen wir, wenn es nicht so gut läuft? Grasser buchstabiert den Ausweg aus der Krise so: Kreativität, Rollentausch, Improvisation, Selbstverwirklichung, Engagement und Erfolg. Am liebsten wäre ihm, wenn von Inklusion gar nicht mehr gesprochen werden müsste, wenn die tatsächlichen und gedachten Schranken zwischen den Menschen weggeräumt wären. Doch ist davon unsere Gesellschaft noch weit entfernt, wie Grasser am eigenen Leib erfuhr, als er sein Studienziel Medizin nicht erreichen konnte. Als Schwerbehinderter wurde er nicht zugelassen.

Zuversichtlich ins neue Jahr

Mehr Akzeptanz, lautet demnach seine Forderung. Gut, wenn Kinder schon in der Schule das Miteinander übten, soziale Kompetenz erlernten und Verantwortung übernähmen. “Freuen wir uns auf das neue Jahr!”, ermunterte Grasser seine Zuhörer*innen. Er beginnt es in der Erwartung neuer Chancen, neuer Fähigkeiten und Möglichkeiten. Ja, und wenn einer wie Johannes Grasser das sagt, was soll eigentlich den Rest der Bamberger hindern, zuversichtlich ins 23er Jahr zu starten?

Die inklusive Percussion-Gruppe “Ramba Zamba” haute dann auch gleich mächtig auf die Pauke: Mit fetzigen Sambatiteln verbreitete die Delegation der Kulturfabrik in der ehrwürdigen Bamberger Sinfonie gute Laune. Außer Grassers Zuckerhut ließ auch Rios Karneval die derzeit graue Stadt an der Regnitz grüßen.

Starke: Bamberger sind füreinander da

Oberbürgermeister Andreas Starke knüpfte an das Orgelspiel der Europahymne an: “Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium (…), alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt.“ Ein Zeichen dafür, wie groß gegenwärtig die Kluft zwischen dem europäischen Gedanken als Friedensprojekt und der Realität sei, sei der schreckliche Krieg in der Ukraine. Doch wie Johann Grasser habe die ganze Gesellschaft, trotz aller Krisen und Schwierigkeiten, gute Gründe, zuversichtlich in die Zukunft zu schauen, meinte der Oberbürgermeister. “Wir Bamberger Bürgerinnen und Bürger, wir lassen uns nicht so schnell unterkriegen, wir halten zusammen, wenn es darauf ankommt. Wir sind füreinander da!” Und was da nicht alles funktioniert: die Unterstützung der Ukraine-Flüchtlinge durch ehrenamtliche Helfer*innen zum Beispiel; oder das erfolgreiche Miteinander von vielen freiwilligen Kräften in den Rettungs- und Hilfsorganisationen bei der Bewältigung der Corona-Pandemie, erinnerte der OB.

Beim Neujahrsempfang der Stadt Bamberg in der Konzert- und Kongresshalle.

Den Auftrag der Politik definiert Andreas Starke so: “Einem Bild der Stadt folgen und diesen Blick zum Maßstab des Handelns machen. Die Lebensqualität, damit die Menschen sich sicher und behütet fühlen, die Infrastruktur passt, genügend Jobs für alle da sind, kulturelle und religiöse Vielfalt herrscht und die Kluft zwischen arm und reich nicht zu weit auseinandergeht.”

“Smart City” bringt es

Innovationskraft sei gefordert bei der Konversion ehemals militärisch genutzter Flächen in der Stadt. Der Kampf gegen den Klimawandel müsse überall ganz oben auf der politischen Agenda stehen und dabei komme der energetischen Sanierung vieler städtischer Gebäude eine große Bedeutung zu. Die Begleitung der Industrie und des Handwerks verstehe sich als Beitrag der Stadt zur Erhaltung des Wirtschaftsstandortes und der Arbeitsplätze.

“Wir müssen uns hinter anderen Wissenschafts- und Technologiestandorten ganz sicher nicht verstecken,” behauptete der Oberbürgermeister und versprach, alles dafür zu tun, damit das auch künftig so bleibt. Dabei setze die Stadt vor allem auf die enge Kooperation mit der Universität, zum Beispiel bei der Umsetzung des Programms „Smart City“. Ziel sei es, die Lebensbedingungen zu verbessern, indem die Digitalisierung den Menschen dient und nicht umgekehrt. Starke: “Großartig, dass wir zu den wenigen Städten gehören, die sich im Wettbewerb durchgesetzt haben und dafür 17,5 Millionen Euro Förderung erhalten.” Auch bei der Gesundheitsversorgung lasse die Stadt nicht nach, versicherte der Redner. Am 24. März werde das neue Kinder- und Jugendhospizhaus „Sternenzelt“ eröffnet. Diese Einrichtung ermögliche Familien mit Kindern, die unter lebensverkürzenden Krankheiten litten, ein bisschen mehr Lebensqualität.

Zehn Jahre Bau der ICE-Strecke

Als eine besondere Herausforderung bezeichnete Starke den in den nächsten zehn Jahren anstehenden Ausbau der ICE-Strecke durch Bamberg. “Wir müssen mit der Zeit gehen und dafür sorgen, dass die Verkehrsbeziehungen innerhalb der Stadt während der Baumaßnahmen intakt bleiben und die Bewohner den erforderlichen Lärmschutz erhalten,” umriss Starke die Aufgabe für Verwaltung und Rat der Stadt.

Jubiläen und sonstige Freuden

Und was steht sonst noch an? Einigermaßen gewiss ist, dass Bamberg in diesem Jahr einen neuen Erzbischof erhalten wird, das 30-jährige Welterbe kann gefeiert und der 200. Geburtstag des Kunstvereins kann begangen werden. Ferner kann auf 100 Jahre Botanischer Garten im Hain zurückgeblickt werden, auf 50 Jahre Städtepartnerschaft Bamberg/Villach und auf 30 Jahre Konzert- und Kongresshalle, zählte Starke auf. Und es würde ihn nicht überraschen, wenn die 15. Bierbrauerei eröffnet wird, “weil der tägliche Pro-Kopf-Konsum dieses Nahrungsergänzungsmittels bei uns überdurchschnittlich hoch, das Schäuferla anders nicht zu bewältigen” sei.  Als bemerkenswert empfindet der Oberbürgermeister die Tatsache, dass die Scheidungsrate in Bamberg nach der Auskunft eines Internetportals die niedrigste von 130 deutschen Städten ist. “Liebe Ehepaare,” appellierte Starke, “helfen Sie mit, diesen Spitzenplatz zu bewahren und nutzen sie die Gelegenheit, die der heutige “Weltknuddeltag” bietet!”

Leicht könnte es jeder!

Mit besten Wünschen für das neue Jahr an die Bevölkerung verband der Oberbürgermeister die Bitte um mehr Optimismus. Und der müsse sich auch “auf die schweren Fälle” erstrecken. Das zeige ein Blick auf die aktuelle Basketball-Bundesliga-Tabelle und das Heimspiel gegen Bayern München. Aber, so Starke zum Schluss: “Wenn’s leicht wäre, könnte es ja jeder!”

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