Kommentar

Nur in Trippelschritten kommt die Energiewende voran

Jede Kilowattstunde zählt! Aber wenn der richtige Zähler fehlt...

3.03.2023
Sind die Sonnenkollektoren auf dem Dach montiert, geht es mit der Energienutzung noch lange nicht los. Investoren erleiden gerade jetzt eine harte Geduldsprobe.
Foto: pixabay
von Werner Baier

Bamberg-Land. “Es kommt auf jede Kilowattstunde an!” Das hat uns Wirtschaftsminister Robert Habeck vor gut einem Jahr eingeschärft, als sich im Gefolge des Ukraine-Krieges für Deutschland ein Energiemangel absehen ließ. Sprunghaft verteuerten sich die Preise für Strom, Gas und Mineralölprodukte und tatsächlich: Die meisten Bundesbürger “verstanden”. Sie sparten – notgedrungen – am Verbrauch der plötzlich so kostbaren Energie.

Schnell geht da nichts

Und viele entschlossen sich, nun doch endlich in erneuerbare Energien zu investieren. Denn um die Abhängigkeit von fossilen Kraftstoffen und von fragwürdigen Herkunftsländern zu senken, bleibt nur, die im Überfluss vorhandene Sonnen- und Windenergie zu nutzen. Also: Schnell mal scharf gerechnet und eine Photovoltaik-Anlage fürs Dach bestellt. Schnell? Schnell geht da gar nichts wie an einem signifikanten Einzelfall geschildert werden kann.

Anfragen im April 2022 bei regionalen Anbietern von Solaranlagen führten zu der ernst gemeinten Auskunft, im nächsten Frühjahr (das wäre also in diesen Tagen) mal einen Vertreter vorbeizuschicken… Bei einer überregionalen Suche fand sich dann doch ein Unternehmen im Donauraum, das echtes Interesse zeigte und ein Angebot abgab. Vertrag geschlossen, das Warten begann. Ende Juli kam die Lieferung der Solarmodule, Anfang August bei größter Hitze die Montage auf dem glutheißen Dach. Drei junge Monteure aus der Ukraine gaben ihr Bestes und vergossen viel Schweiß. Bravo!

Immer wieder: China

Die Technik für den Keller, der Wechselrichter, der Stromspeicher? Wieder wird irgendwas von China, Lieferschwierigkeiten und überhitztem Markt gemurmelt. Das Warten dauert bis Januar 2023. Plötzlich werden die Geräte geliefert und am 2. Februar montiert. Eineinhalb Tage Probebetrieb, alles funktioniert: Obwohl die Sonne selbst mittags noch tief steht und der lichte Tag kurz ist, erzeugt die Anlage binnen 24 Stunden das Vierfache des Eigenverbrauchs der Hausbewohner: ein Viertel des Stroms fließt erst mal in die Batterie, die Hälfte wird ins Stromnetz eingespeist. Bitte, Herr Habeck: Wenn jede Kilowattstunde zählt, Besitzer von Photovoltaikanlagen können was dazu beitragen. Wenn man sie denn lässt.

Zweirichtungszähler: Mangelware

Denn wieder hakt es und zwar am Zähler. Um diese Anlage nun einschalten und in Betrieb setzen zu dürfen, muss der Netzbetreiber einen neuen Zweirichtungszähler einbauen, der einerseits den Strombezug aus dem Netz misst und andererseits die Strommenge erfasst, die der Anlagen-Betreiber ins Netz einspeist. Dazu bedarf es mit deutscher Gründlichkeit und nach Bürokratenart gegenüber dem Netzbetreiber (Stadtwerke, Bayernwerk etc.) einer Fertigstellungsanzeige des Lieferanten, der ein lückenloser, umfangreicher Beschrieb der Anlage beigefügt sein muss. Ist der Papierkram erledigt, kommt der Kunde auf die Warteliste, denn: Auch Zähler sind Mangelware, weil sie zum einen Platinen aus China enthalten und der Bedarf gut eineinhalb Jahre im Voraus gemeldet werden muss. Dennoch behaupten zum Beispiel die Stadtwerke Bamberg, ihre Kunden zur Zeit nur gut zwei Wochen auf den Zähler warten zu lassen. Schön für die Partner der Stadtwerke, wenn diese Auskunft denn stimmt.

Große Nachfrage

Der Großteil der Stromverbraucher im Raum Bamberg erhält die Energie über das Bayernwerk Netz. Das legt sich nicht fest, wann es liefert. Stattdessen lässt es über seinen Pressesprecher mitteilten, dass es die Zahl der Inbetriebnahmen binnen Jahresfrist gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppeln konnte. Auch im gegenwärtigen Boom werde das Mögliche geleistet, um alle Anliegen für Neuanlagen zu bearbeiten. Rund 6.000 Anfragen pro Monat (bayernweit) ließen sich aber nicht einfach auffangen. Man müsse zudem bei jeder Anlage gewissenhaft vorgehen und sich an gesetzliche Vorgaben halten. Da tauchen dann Wortungetüme wie “Marktstammdatenregister” und “Messstellenbetriebsgesetz” auf. Wer ohne neuen Zweirichtungszähler seine PV-Anlage betreibt, kann mit dem Gesetz in Konflikt kommen, weil die Erfassung des schon verbrauchten Stroms aus dem Netz erschwert werden würde: Der Zähler dreht sich bei der Einspeisung von Solarstrom nämlich rückwärts.

Geht es auch einfach?

Das ist alles maximal kompliziert. Man könnte es auch einfacher machen, indem der Zählerstand vor Inbetriebnahme der PV-Anlage durch den Montage-Elektro-Meister dokumentiert wird, zum Beispiel durch ein Handyfoto. Alles weitere könnte man im Nachhinein abrechnen. Denn moderne PV-Anlagen messen den Strom auf die dritte Dezimalstelle genau und zeigen alle Werte mithilfe einer App an: Wieviel hat der Betreiber der Anlage am Tag/im Monat aus Sonnenenergie gewonnen; wieviel hat er davon selbst verbraucht und wieviel hat er ins Netz gespeist, und schließlich: Wieviel Strom hat er trotz all aus dem Netz gezogen? Auch dies könnte alles durch Screenshots belegt werden.

Aber: Wäre das im Sinne eines Unternehmens, das sein Geld mit der Lieferung von Strom verdient, selbst wenn es sich brüstet, mittlerweile 70 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien zu transportieren? Warum soll es unverzüglich die Stromeinspeisung und den Eigenverbrauch von “Solarstrom” ermöglichen, der den teuren Strom aus dem Netz ersetzt ? Wer prüft, dass der Energieversoger schnellstmöglich den Papierkram erledigt und den erforderlichen unverzüglich Zweirichtungszähler setzt?

Handlungsbedarf

Ja, Herr Minister: Für die, die Strom verbrauchen oder sparen und für die, die erneuerbare Energie beisteuern, zählt jede Kilowattstunde. Und für die, die mit dem Strom Geschäfte machen, zählen die Kilowattstunden auch, aber halt unter einem ganz anderen Aspekt. Und deshalb gibt es Handlungsbedarf für Politiker, die sich um den Verbraucherschutz bemühen oder um den Klimaschutz und die nachhaltige Energiewirtschaft. Wenn womöglich Tausende von PV-Anlagen nur deshalb nicht genutzt werden dürfen, weil die Zähler rückwärts drehen und Zweirichtungszähler ewig nicht eingebaut werden, dann ist das ärgerlich und abschreckend. Da liegen immerhin private Investitionen im fünfstelligen Bereich brach. Der Gesetzgeber sollte hier ganz schnell den Netzbetreibern Beine machen. Wo ein Wille, da ist auch ein Weg.

Leserinnen und Leser, die ähnliche Erfahrungen mit ihrem eigenen Projekt Strom vom Dach machen oder gemacht haben, dürfen hier gerne kommentieren. Ist es nicht frustrierend, einen Sonnentag nach dem anderen ungenutzt verstreichen zu lassen, während man weit mehr als die eine Kilowattstunde sparen oder einspeisen könnte? Dürfen Wirtschaftsminister auch mal hemdsärmelig sein und Lobbyisten einen Korb geben?

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