Hirschaid. Eine Zeitmaschine besitzen und betreiben: Dieser Wunschtraum wurde in den beiden restlos ausverkauften Prunksitzungen des “Häschaader Faschingsvereins” am Wochenende in der Jahnhalle wahr. Die hat – was Wunder! – auch diese sturmvollen Nächte überstanden. “Licht aus! Spot an! 70er Disco” lautete das Motto der Veranstaltungen, durch die in unübertrefflicher Weise witzig und charmant die Elferrats-Präsidentin Gerlinde Stache führte. Über 80 Närrinnnen und Narren, Tänzer*innen, Solisten und Wortakrobaten huldigten dem Prinzenpaar Yvonne I. und Mathias I. sowie dem froh gelaunten Publikum. All das Leid, das gerade die Welt erfüllt: Es blieb für ein paar Stunden draußen. Stimmungskanonen eroberten das Feld und Humor ist, wenn man trotzdem lacht.
Das kam einem schon in den Sinn, als die “Häschaadä Waafn”, Gabriele Behr und Monika Schaiblein, an ihre beste Zeit in den 1970ern erinnerten: Da gab es im Bamberger Land noch Discotheken und Clubs zwischen Gunzendorf und dem Le Train in Bamberg und die jungen Damen konnten sich entscheiden: für den kernigen Bauernburschen von nebenan oder dem Farmersohn aus Dakota mit dem Dollar-schweren Geldbeutel oder dem muskelbepackten Boy aus der Bronx. Der Klammer-Blues war angesagt und das hatte so seine Folgen. Ach ja, Thomas Gottschalk hat damals gerne mal in Bamberg Platten aufgelegt.
Natürlich gab es auch den anderen Blickwinkel: Mann, mittlerweile in seinen 60ern oder 70ern, erinnert sich wehmütig an die “Schneggla” und wie man denen mit einem Opel Manta imponieren konnte. Die “Danzfräggä und Kratzbörschdn” wussten Bescheid. Ja, die Tanztempel rundherum: Was ist aus ihnen geworden? Naja, die Jugend von heute findet sich ja anhand von Algorithmen via Internet. Ob man darüber später auch mal Witze reißen kann?
Energieberaterin Anja Schmaus (im Bild links) richtete das Spotlight auf die prominenten Gäste, etwa den Bürgermeister Klaus Homann oder den Bundestagsabgeordneten Thomas Silberhorn, dem sie mit einem handlichen Windrad und Red Bull Flügel verleihen wollte. Das Prinzenpaar hatte sich zu Henne und Hahn einen Reim gemacht, ehe die Juniorengarde vom “Tanz Rhythmus Hirschaid” und der Frauenbund mit seinem Hitmedley die Halle in Wallung brachten.
Die ersten Lachsalven feuerten die Besucher auf den “Festlasgänger” Andreas Dittrich ab, der mit seinem Equipment auf die Bühne trat: den bäuchlings vorgeschnallten Spucknapf. Sein extraordinärer Fingertest zur Herkunftsermittlung ließ erstmal die empfindlichen Gemüter aufkreischen. Aber dann landete er einen Hit darüber, wie der häusliche Frieden bewahrt werden kann, wenn Mann des Nachts zur späten Stunde mit viel Sprit im Tank nach Hause kommt: “Fraaa, jetzt ist der beste Zeitpunkt….” Fraa macht dann das Gegenteil von Krach.
Zur Melodie von “Großer Gott, wir loben dich” sangen fortgeschrittene Tänzerinnen ein Loblied auf die in Häschaad an Popularität kaum zu übertreffende Brauereibesitzerin: “Unsere Hilde loben wir, Bier und Wörscht sind ihre Stärke, alle kommen gern zu ihr, zum Probiern der neusten Werke. Sie zeigt sich im Dirndlkleid, gut gelaunt zu jeder Zeit.” Überhaupt: Der Fortbestand der Brauerei Kraus zog sich wie ein roter Faden durch das Programm. Dass eine acht Meter hohe Schallschutzmauer zu dem gleich nebenan projektierten Seniorenwohnheim errichtet werden muss, ist halt leider keine Posse.
Klaus Homann wird gewarnt: “Schau auf deine Wähler – die ham so auf dich gebaut. Du planst ja nur noch Altenheime und auf uns Junga werd net gschaut!” Die Situation wird wie folgt beschrieben: “Früher wor der Schlapphut da, und im Schabernack konnten wir singa. Jetzt konnst dir an Döner kaafn, und damit dann schö ham laafen.” Da bleibt dann nur noch eine Litanei: “Keine Dönerbuden mehr – des fordern wir. Keine Seniorenheime mehr – des fordern wir. Keine Frisöre mehr – des fordern wir.” Stattdessen: “Kneipen für jung und alt – erflehen wir. Weinlokale und Heckenwirtschaften – des erflehen wir. Einen flotten Tanzschuppen – des erflehen wir.”
Natürlich wurde der Bau der “Wurschtfabrik”, die “mit a weng Bestechung” durch Kühltaschen voll Leckereien von der Bevölkerungsmehrheit durchgewunken wurde, von den Büttenrednern und Sangeskünstler*innen aufgespießt. Wienerla aus vollen Händen – das zeigt Nachwirkung.
Jutta und Lisa Saffer beleuchteten das Thema Fortbewegung aus zwei verschiedenen Altersperspektiven: die einen nehmen den Bus für eine Kaffeefahrt zu einem friedvollen Ruheplätzchen und die anderen starten damit nach Malle. So oder so ist das Leben.
Die “Berchleud aus Seigendorf” stellten dann endlich ihre Zeitmaschine auf die Bühne und düsten mit dem Publikum durch ein Jahrtausend: Sie graben Hirzheide aus und erwecken es zum Leben. So erscheint der – ausgerechnet – Süsslfohrä Fährmann, der zur Übermittlung der Urkunde verhalf, aus der Hirschaid sein Alter bestimmen kann. Großer Sprung ins Jahr 2070: Bamberg ist keine Bierstadt mehr, dafür hat Hirschaid eine Brauerei von Weltgeltung. Aber noch mal 100 Jahre später ist Häschaad verschwunden, leer: Die früher mal vernachlässigte Jugend ist abgewandert – ein Wink in Richtung Kommunalpolitik von heute.
Karin Schröder, die kenntnisreiche Pressefrau in der Bütt’, hätte wirklich nicht gedacht, dass sie sich mal über eine geschenkte Rolle Klopapier freuen würde.
Sie recherchierte, dass XXXL von den Optikern gesponsert wird, weil die ihre helle Freude an dem vielen Kleinstgedruckten in dem Werbeprospekten des Möbelriesen haben. Dann glossierte sie die Genugtuung darüber, dass nach drei Fehlversuchen, per Frauenquote das Verteidigungsministerium zu besetzen, endlich wieder ein Mann an die Front geschickt wurde. Über die Betrachtung der Mauerpower in Hirschaid und der offenen Frage nach der Ersatzbrücke über den “Canale Grand” kam sie zu dem Ergebnis: “Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei”. Mal schauen, was Edeka noch zum Besten gibt.
Die rund fünfstündige Show steigerte sich über die Schlagerparade mit Chris Roberts, Vicky Leandros, Roland Kaiser und Marianne Rosenberg (Imitatoren) zu einem mitreißenden ABBA-Finale “Mamma mia” unter Mitwirkung des “Tanz Rhythmus”. Hirschaid, das muss man neidlos anerkennen, hat nicht nur eine “Dancing Queen”. Mehr als zwei Jahrzehnte organisierter Fasching haben großartige Erfolge hervorgebracht, sprühende Lebensfreude und ein Zusammengehörigkeitsgefühl von Alt und Jung. Beweise auf der Bühne und im Saal. Keine roten Rosen diesmal für Gerlinde Stache, sondern Primeln für den Primus. Und eine tiefe Verbeugung vor der Leistung, die hinter dem Spektakel steckt. Auf ein Wiedersehen, hoffentlich dann bei Friede, Freude, Eierkuchen, im nächsten Jahr! (Weitere Bilder von der Veranstaltung in der folgenden Galerie).
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