Syrische Mitbürger blicken mit Trauer und Wut in ihre alte Heimat

Wenn die Bagger nicht kommen, ersticken die Kinder unter dem Schutt

16.02.2023
Lama Shamouka trauert mit den Opfern des verheerenden Erdbebens in ihrer Heimat Aleppo. Sie hat erfahren, dass der Mann, der hier heulend vor den Fernsehkameras vom Tod seiner Familienangehörigen berichtet, inzwischen an seinem Leid zerbrochen und gestorben ist.
Foto: Werner Baier
von Werner Baier

Bamberg-Land. Noch am Donnerstag haben Rettungskräfte in Aleppo Hilferufe von Kindern aus den Trümmern eines eingestürzten Hauses gehört. Die Helfer haben die örtlichen Autoritäten und Rettungsdienste Tag für Tag  dringend um die Zuteilung von  Baggern gebeten, um diese Kinder aus dem Schutt bergen zu können. Darauf keine Reaktion. Am Freitag war von den Kindern nichts mehr zu hören. “Jetzt brauchen wir die Bagger nicht mehr”, sagt einer der Retter einem Beobachter ins Handy-Mikrofon. Ihr Leben sei nun wohl erloschen.

So viel Leid tötet

Lama Shamouka, in Pettstadt wohnende Flüchtlingsfrau aus Aleppo, selbst zweifache Mutter, vergießt Tränen, wenn sie von diesem Drama berichtet, das ihr von Freunden aus Syrien via Internet überspielt worden ist. Es ist eine von vielen traurigen Geschichten, die uns aus der vom Erdbeben am Montag heimgesuchten türkisch-syrischen Grenzregion erreichen. Der Syrer, der einem Kamerateam den Tod all seiner Angehörigen klagt, ist zwei Tage später selbst gestorben: So viel Schmerz macht Leib und Seele kaputt.

Rund 500 Nachbeben bis Samstag

Fassungslos sehen wir jeden Tag in den Nachrichtensendungen die bewegenden Bilder von dem verheerenden Naturereignis, das die Bewohner Kleinasiens am Montag, 6. Februar, um 4.17 Uhr Ortszeit aus dem Schlaf riss. Ohrenbetäubender Lärm, schwankende Betten und Böden, umstürzende Kühlschränke und Möbel, kreischende Menschen flüchten in Pyjamas und Nachthemden, rennen, drängen nach draußen. Staubwolken, Trümmerhaufen, Finsternis. Wer es ins Freie schafft, erlebt, wie die Hölle ihren Schlund öffnet: Wohnhäuser, Moscheen, öffentliche Gebäude,  klappen unter ohrenbetäubendem Lärm wie Kartenhäuser in sich zusammen. Straßen und Plätze bekommen Krater. Eine halbe Stunde später bebt die Erde erneut und um 13.30 Uhr folgt der dritte große Erdstoß. Bis Samstag erfassen die Seismographen an die 500 Nachbeben.

Häuser ohne Fassaden, einsturzgefährdet, unbewohnbar.

Die Neu-Pettstadterin Lama Shamouka wischt sich immer wieder die Tränen, als sie vom “Bamberger Zwiebeltreter” befragt wird, um im Sinne der von Oberbürgermeister Andreas Starke und Landrat Johann Kalb angestoßenen regionalen Hilfsaktionen ein Bild von der Situation im Katastrophengebiet zu zeichnen. Tränen fließen  Lama aus den Augen, wenn sie – immer wieder stockend und um Fassung ringend – aus ihrer alten Heimat berichtet, wo der Vater und die Schwester mit Mann und zwei Kindern irgendwie noch leben. Noch. Denn welches Leid über die Erdbebenopfer in Syrien über kurz oder lang hereinbrechen wird, ist ungewiss. Was wird sein, wenn die noch vorhandenen Lebensmittelvorräte aufgezehrt sein werden? Selbst das Trinkwasser wird ein rares Gut. In Syriens Nordwesten gibt es einen Landstrich, der weder von der Türkei her angesteuert werden kann, noch aus dem vom Assad-Regime kontrollierten Gebiet versorgt wird.

Die UNO muss es schaffen

Der Diktator lächelte in die Kameras der Weltpresse, als er die Katastrophen-Region besuchte. Einen Appell an die Welt, den Menschen in seinem verwüsteten Land – Moslems wie er – beizustehen, bringt er nicht über die Lippen. Selbst die UNO hatte zunächst keinen Zugang. Erst am Samstag landete ein erstes UN-Flugzeug mit medizinischen Hilfsgütern. Man kann nur hoffen, dass es den internationalen Organisationen bald gelingt, Hilfe in die Region zwischen Aleppo und Idleb bringen zu dürfen.

Reisepläne durchkreuzt

Lama Shamouka, deren Geschichte wir unter dem Menüpunkt “Lesebuch” in Form einer Reportage schildern, ist als Flüchtling und im Wege des Familiennachzugs nach Deutschland gekommen. In Pettstadt hat die Familie eine neue Heimat und der Mann als Krankenpflegeschüler ein Auskommen gefunden. Die ganze Familie hat inzwischen die Deutsche Staatsbürgerschaft bekommen. Im Frühjahr wollte Lama mit dem Deutschen Reisepass endlich wieder mal nach Syrien fliegen, um Vater und Schwester sowie alte Freunde zu besuchen. Die lange gehegte Reisevorfreude ist in dieser Woche jedoch grenzenloser Trauer gewichen. Dazu ihr Hader mit der verheerenden und unvorhergesehenen Naturgewalt, der Verdruss über die ausbleibende Hilfe für ihre Landsleute, unter denen sie neben den Verwandten noch viele Freunde aus der Schulzeit und dem Studium hat.

Ironie des Schicksals: Feuer kann kann man machen

Die Informationen über die auf den Tiefpunkt gesunkenen Lebensverhältnisse lassen schaudern. Lamas Vater ist als Fatalist in seiner kleinen Wohnung geblieben, die viele Risse in den Wänden bekommen hat. Die Schwester und ihre Familie sind der Gefahr des Einsturzes ihres schwer beschädigten Wohnhauses ausgewichen und zusammen mit einer weiteren entwurzelten Familie bei Freunden untergekommen. Gas gibt es nicht mehr. Strom – schon vor dem Erdbeben häufig nur für eine Stunde am Tag zugeteilt – ist abgeschaltet. Am leichtesten kann noch Feuer gemacht werden: An zertrümmertem Bauholz und Mobiliar ist kein Mangel. Hunderttausende Syrer campieren im Freien, unter Zeltdächern ohne Seitenwänden, in Autos. Und es ist zu allem Übel noch bitter kalt: Minustemperaturen, Schnee und Regen im syrischen Frühling, wo normalerweise schon die Erdbeeren blühen.

Handyfoto aus Aleppo. Ohne den zerquetschten Toten, der links zu sehen war.

“Gute Freunde” Assads

70 Länder haben der Türkei Hilfe angetragen; Syrien, dessen nordwestlicher Landesteil ebenso von dem Erdbeben am Montag betroffen worden ist, erhält offiziell nur von Russland und dem Iran Unterstützung. Außerdem haben die Arabischen Emirate, Algerien und der Irak Hilfe angeboten. Deren Flugzeuge kommen erst mal nur bis Damaskus. Nur Flugzeuge aus Russland und dem Iran dürfen in der angeblichen Rebellen-Region landen. Russland – Iran – Syrien, welch ein todbringendes Konsortium, nimmt sich die Freiheit, über das Schicksaal einer von der Natur heimgesuchten Bevölkerung zu bestimmen. Wenn sie denn nur mal damit beginnen würden, sich von einer besseren Seite zu zeigen, wünscht man sich.

Lama Shamouka übt aus Angst um ihre Lieben in der Heimat keine Kritik an der Assad-Regierung. Sie kann nur darum bitten, vor allem die politisch Verantwortlichen in unserem Land, daran zu denken, dass es noch schlimmer Betroffene gibt als jene in der Türkei. Es werden dort keine Lastwagenkonvois mit Hilfsgütern hinkommen, bestenfalls bis nach Idleb, das teilweise unter türkischem Einfluss steht.

 

Syrien ist in den bislang 13 Jahren Bürgerkrieg zu einem der ärmsten Länder der Welt herabgesunken. Wie weit ist das Land gekommen mit den Freunden, die sich das Regime ausgesucht hat? Wenn wir aus dem Westen schon kaum mit Hilfe vordringen, wie weit kann sich nun gerade die Umma, die moslemische Welt einbringen, um das Leid zu lindern? Dass es auch in diesem Fall Krisengewinner geben wird, ist jetzt schon klar: Wer zum Beispiel mit einem der großen internationalen Bankdienstleister 100 Euro auf das Konto eines Syrers überweist, erfährt ein paar Tage später, dass dort (Devisen dürfen die Syrer nicht besitzen) dem Kurs entsprechend nicht 7000 Lira, sondern nur 3500 verbucht werden. Das ist erheblich weniger als die Bank für ihre Dienste abzieht. Man ahnt, welcher Schindluder getrieben wird und trotzdem ist dies momentan der einzige Weg, legal einen Strahl Hoffnung in das Katastrophengebiet zu senden.

Über die von OB Starke und Landrat Kalb auf lokaler Ebene initiierten Hilfsaktionen berichten wir an anderer Stelle: Aufmacher – Bewohner von Bamberg Stadt und Land können die Hilfsaktionen unterstützen (bambergerzwiebeltreter.de)

Fotos: 
Werner Baier
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